Prinz-Albrecht-Straße
und Himmler, der politische Hypochonder, erkannten die Gefahr; auch die tschechische Widerstandsbewegung wußte, daß sie am Ende war, wenn es nicht gelang, das Phänomen Heydrich auszuschalten.
Es wurde zu einer Ironie der Weltgeschichte, daß Heydrich die Bombe bei seinen Attentätern selbst bestellte, als er sich, entgegen seiner Gewohnheit und Veranlagung, aus rein zweckpolitischen Gründen als Mann der Versöhnung aufspielte …
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Acht Monate war der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich nun in Prag. Acht Monate hatte Margot Lehndorff in einem namenlosen Frauen-KZ weiter vegetiert, hatte Werner Stahmer vergeblich bei seinen Vorgesetzten nach einer Chance für sein Vorhaben getastet. Acht Monate pendelte die Exekutive zwischen Prag und Berlin, als Stahmer von Heydrich aufgefordert wurde, in den Hradschin zu einer Besprechung zu kommen, vor der die Sachbearbeiter zitterten, weil sie nicht vorhersagen konnten, ob sie ausgezeichnet oder ausgelöscht werden sollten.
Aber diese Reise in die Hauptstadt des sogenannten Protektorats hatte für Werner Stahmer keine Schrecken. Er trat sie in Gesellschaft an. Mitten im Krieg bot der SS-Obergruppenführer ein seltsames Schauspiel: Er lud die Funktionäre des Untergrunds, der Spionage-Organisationen, der Abwehr, dieses Gewirr rivalisierender, intrigierender Gruppen, in die Goldene Stadt ein wie zu einem Familientreffen. So wie Heydrich friedlich neben seinem Gegenspieler Canaris saß, kauerten auch die anderen Seite an Seite in der Tafelrunde! Männer, die sich nicht ausstehen konnten, die nur auf eine Gelegenheit warteten, den anderen zur Strecke zu bringen, prosteten sich artig zu, Hände am Tisch, Augen an den Lippen des sich besonders liebenswürdig gebenden Gastgebers Reinhard Heydrich, der sich tagelang benahm wie ein alter Kommerzienrat beim hundertjährigen Jubiläum seiner Firma.
Die Hotelzimmer waren mit Blumen geschmückt. Erinnerungsgeschenke lagen auf den Nachttischen, und selbst an hochwertigen tschechischen Schnaps hatte man gedacht.
In sachlicher Beziehung war dieser Aufmarsch des Untergrunds fast ohne Bedeutung. Im Mittelpunkt des Treffens stand zwar ein Referat, das der SS-Obergruppenführer nach üblichem frevelhaften Sprachgebrauch die ›Zehn Gebote‹ für die deutschen Geheimdienst-Leute nannte. Sonst aber gab es lediglich Trinksprüche, Theaterbesuche und Siegeswillen bei erstklassiger Verpflegung. Vielleicht wollte Heydrich, der Kronprinz der SS, demonstrieren, daß er noch immer der Hausherr der Prinz-Albrecht-Straße war, und daß er sich nach baldiger Befriedung in Böhmen und Mähren wieder ausschließlich seinen Polizeiaufgaben widmen würde.
Zwei Tage lang hatte der SS-Obergruppenführer Werner Stahmer geschnitten. Er gab ihm beim Abschied die Hand und war mit den Augen schon beim nächsten. Es war das alte Spiel, zu dessen Regeln gehörte, daß sich der Chef des RSHA den Anschein gab, es vergessen zu haben. Stahmer war froh, wieder in die größere Distanz zu Heydrich zu kommen.
Nach seiner Rückkehr nach Berlin begegnete Werner Stahmer bei seiner Behörde einem alten Bekannten: SS-Standartenführer Löbel war soeben aus Rußland zurückgekehrt, wo er eine SD-Einsatzgruppe übernommen hatte. Heydrich hatte den Mann, der auf dem Papier Juden und Russen zu Millionen vertilgte, zur Frontbewährung abkommandiert und dort lange warten lassen. Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis brachte den SS-Offizier in Ungnade. Zur Theorie stand er auch heute noch, aber er hatte gelernt, daß es leichter ist, auf dem Papier eine Million Menschen zu töten als in der Praxis tausend umzulegen, noch dazu mit der rückständigen Genickschuß-Methode. So nahm sich die Erfolgs-Bilanz des Standartenführers neben der anderer Einsatzgruppen bescheiden aus. Löbel war auch jetzt noch überzeugt, daß es notwendig sei, ganze Volksteile auszurotten, aber wenn es zur Tat kam, hatte er nicht die Nerven des erprobten Gestapo-Müllers und den Ehrgeiz des blendenden Kriminalrats Nebe. Heydrich waren die ›dürftigen‹ Zahlen der E-Gruppe Löbel aufgefallen, weshalb er ihn Monate länger bei dem unangenehmen Kommando ließ als seine anderen Trabanten.
Jetzt war Löbel zurück und bestrebt, in der Stufenleiter der Gunst Heydrichs wieder aufzurücken. Er streckte Stahmer jovial die Hand hin. Sie zitterte leicht. Löbel war alt geworden im letzten Jahr. Er ging leicht gebückt, das Weiße in seinen Augen war gelb und durchsetzt mit roten Fäden. Sein Blick
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