Prinz-Albrecht-Straße
waren nicht ernst zu nehmen. Nur die militärische Abwehr stand Heydrichs Ehrgeiz noch im Wege! Der Fuchsbau am Tirpitz-Ufer des Admirals Canaris. Ihn haßte der SS-Parvenü mit dem ganzen Minderwertigkeitskomplex des Außenseiters. Die Abwehr war zweifellos fachlich besser und vor allem diskreter und lautloser. Zwar gibt es im Milieu des Untergrunds keinen Anstand, aber die Canaris-Agenten zogen sich wenigstens Handschuhe an, bevor sie in die Niederungen der unsichtbaren Front tauchten. So liefen Abwehr und RSHA nebeneinander her wie zwei gleich große Krokodile, die sich gegenseitig nicht fressen können. Man brauchte Canaris, obwohl man ihm nicht traute. Aber Heydrich, der über jeden und alles Buch führte, wartete zäh und geduldig auf eine Chance, ihn zu stürzen.
Inzwischen ersetzte er Qualität durch Masse. Die Prinz-Albrecht-Straße konnte in ihren geheimdienstlichen Leistungen trotz einiger Überraschungserfolge wie der späteren Befreiung Mussolinis keineswegs mit den ausländischen Spionage-Organisationen konkurrieren. Es gab Pannen, die auf groben Dilettantismus schließen ließen. Das RSHA kam sozusagen nie aus den Kinderschuhen heraus, obwohl es, da es alle Mittel probierte, auch mit einigen zum Ziel kam.
Die Bedeutung dieser Zentrale, deren Tageseinläufe sich zu dem Hauptbuch einer Schuld ohne Beispiel addieren sollten, lag auch nicht so sehr in der zwielichtigen Sphäre des Untergrunds, als in der Beherrschung des eigenen Volkes nach der Devise: Macht durch Terror.
Heydrich selbst hatte animalischen Instinkt und phantasievolle Intelligenz. Nach außen blieb er der kalte Funktionär des Systems, in Wirklichkeit aber ging es ihm um nichts anderes als die eigene Hausmacht. Er verschwendete die meiste Energie an persönliche Ränke. Er ging mit seinem Mißtrauen schließlich so weit, daß er nur noch Leute mochte, die er in der Hand hatte. Und er verfolgte hohe und höchste Würdenträger mit der Wucht seines Apparats, so sie ihm nicht rechtzeitig ihre Reverenz erwiesen. An der Angst der anderen Organisationen vor seiner Behörde maß er seinen Erfolg.
So wurde das Prinz-Albrecht-Palais zu einer Schleuse des Schicksals, zu einem Knotenpunkt der Ungeheuerlichkeit. Hier holte sich der Hoheitsträger Rat, der Industrielle Deckung, der KZ-Kommandant Vollmacht und der Spitzel Geld. Das alles in engstem Nebeneinander: der Hochstapler neben dem Homosexuellen, der abgeworbene Canaris-Fachmann neben dem arrivierten SS-Herrenreiter, der österreichische Abenteurer Skorzeny neben dem Deutsch-Amerikaner Dash, der mit einer U-Boot-Fuhre Komplizen an der Küste der USA landete und sie ausnahmslos dem elektrischen Stuhl auslieferte, um die eigene Haut zu retten; der Gauner aus Indien, der aus dem Nichts Treibstoff herstellen wollte und sich verwöhnen ließ, weil das RSHA aus Verzweiflung auf Alchimie setzte. Der Falschmünzer, den gestern noch der gleiche Staat für ein Verbrechen verurteilte, das er ihm jetzt befahl: Herstellung von englischen Pfund- und amerikanischen Dollar-Noten, für den Einsatz als Kriegswaffe. Tagediebe aller Art aus aller Herren Länder. V-Leute aus Spanien, die lediglich gehalten wurden, um auch während des Krieges eine privilegierte Schicht von SS-Führern mit Friedenswaren der Iberischen Halbinsel, gekauft auf Spionage-Etat, zu beliefern. Der blasse Obersturmbannführer mit dem fanatischen Gesicht und dem seltsamen Titel Judenreferent: Adolf Eichmann, verbittert darüber, daß man ihm aus Tarnungsgründen nur einen wenig bedeutenden Rang zuerkannte, obwohl er die Vollmacht hatte, Millionen von Menschen wie Ungeziefer zu vertilgen. Der wohl seltsamste Spion des Zweiten Weltkriegs, Erich Gimpel, den man Ende 1944 mittels U-Boot nach Amerika schickte, um das Manhattan-Projekt, die Atombombe, zu erkunden, und der unglaublicherweise in der Frenchman-Bay mit einem amerikanischen Überläufer glücklich landete, weil die gesamte Küstensicherung im Gefühl des sicheren Sieges längst die Radarschirme abgeschaltet hatte.
Leute dieser Art gehörten zur Prinz-Albrecht-Straße und zwischen diesen immer wieder en masse die Typen, die wohl am besten den Nationalsozialismus verkörpern, der nach einem Bonmot der Sieg der Arbeitsscheuen über die Arbeitslosen war.
Und in diesem trüben Strom schwamm einer, der sich längst dagegen stemmte, dem das Leben keinen Spielraum ließ und der trotzdem auf seine Chance wartete: Werner Stahmer.
Heydrichs diabolische Rechnung war aufgegangen: der frühere
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