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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Vorzugsagent funktionierte, hatte zu funktionieren. Heydrich verfügte über das Faustpfand. Und Margot Lehndorff machte zwangsläufig aus einem zum Absprung bereiten Hasser ein gefügiges Werkzeug. Heydrich sah es nicht nur, er genoß es auch. Es war ein stummes, verbissenes Ringen.
    Werner Stahmer hatte alle Stadien der Ausweglosigkeit kennengelernt. Er war wie ein gefangener Stier gegen das gläserne Gefängnis gerast. Er war mit falschen Papieren im Ausland, das auf ihn wartete, für das er ein unbezahlbarer Kronzeuge gewesen wäre. Ein Schritt nur, ein Anruf, und er hätte es geschafft, wäre in Freiheit gewesen. So aber setzte er sein ganzes Raffinement, seine erprobte Erfahrung daran, um freiwillig in ein Land zurückzukehren, dessen Beherrscher er tief verachtete.
    Der Obergruppenführer spielte mit ihm. Er legte Stahmers Aufträge auf Eis oder verordnete ihm Spezialschulung. Er schickte ihn mit einem Routineauftrag nach Nordafrika, und er teilte ihn dem Kommando zu, das an der Grenzstation Venlo am hellichten Tag zwei holländische und einen britischen Offizier kidnappte. Heydrich wollte ihn über England absetzen und pfiff ihn im letzten Moment zurück.
    Stahmer wurde hart und schweigsam. Er erlernte Geduld, er rang sich durch zu einer Vernunft ohne Resignation. Anfänglich hatten ihm quälende Gedanken das Leben zur Hölle gemacht. Margot im KZ, dachte er. Er stellte sich das zärtliche, zierliche Mädchen vor in den Händen unweiblicher, grobknochiger Wärterinnen. Er sah Margots Vorgesetzte vor sich, des Führers reizlose Vogelscheuchen, mit flachen Schuhen, platten Brüsten und glatten Haaren. Mänaden des Systems, die überall zu kurz gekommen waren, so daß dem kümmerlichsten SS-Mann auch im größten Suff noch vor ihnen graute. Menschliche Furien, die zur Peitsche griffen, um sich an anderen zu rächen, geschlechtslose Wesen, die den unweiblichsten Beruf der Welt – Wärterin in einem KZ – ergriffen hatten. Immer wieder ging es Stahmer marternd durch den Sinn, wie Margot jetzt dafür büßen mußte, daß ihre Wärterinnen nicht ihre schönen Haare, ihr hübsches Gesicht, ihre vollen Lippen hatten, und daß die, die nicht lieben, glauben, hoffen, weinen oder lachen konnten, dafür jetzt schlagen, treten, stoßen und quälen durften …
    Manchmal sah es aus, als ob Heydrich in Geberlaune seine Geisel freiließe, aber es war nur das übliche Spiel. Stahmer galt im Reichssicherheitshauptamt als zuverlässiger und sicherer Mann, als Agent, dem man jeden Auftrag geben und jede Summe anvertrauen konnte, der umsichtig war und zudem das Lob noch anderen überließ. Vielleicht durchschaute nur Heydrich, was hinter dieser Fassade brannte.
    Stahmer wußte, daß er Margot eines Tages aus dem Frauen-KZ befreien würde, und er hoffte, daß es dann noch nicht zu spät sein möchte. Die Zeit gab ihm Abstand. Er wußte zuletzt gar nicht mehr, wie er zu Margot stand, ob er sie noch liebte. Die Erinnerung an sie wurde zu einem Schemen, zum Bild aus einem verstaubten Familienalbum, das man an seltenen Tagen zur Hand nimmt und nachdenklich bis zum nächsten Mal auf die Seite legt. Es ging auch nicht nur um das persönliche Verhältnis. Stahmer wußte, daß er so oder so an dem Schicksal des Mädchens schuld war, und das wenigstens wollte er um jeden Preis wieder gutmachen, ohne Rücksicht auf sein eigenes Geschick. Ein Kreuz, das er sich selbst auflegte, eine Sühne für die Irrwege der letzten Jahre, für Verbrechen, an denen er auf Befehl Heydrichs teilgehabt hatte.
    Die Zeit zerrann ihm zwischen den Händen. Er zählte sie nach Aufträgen. Er kam immer wieder zurück. Sein Glück wie seine Energie waren unheimlich. Er reagierte mechanisch und präzise wie eine Weiche, die man nur zu stellen brauchte. Er wurde zu einem Roboter der unsichtbaren Front, zu einem Agenten ohne eigenen Willen, ohne Gefühl, ohne Nerven. Zu einem Kerl im Zwielicht, zu dem sich jeder Geheimdienst beglückwünscht hätte.
    Und gerade als er endgültig resignieren und mit allem Schluß machen wollte, kam ganz plötzlich die Wendung …

79
    Anfang September 1941 ging eine Meldung durch die Presse, die zu einem weltweiten Rätselraten führen sollte. Völlig überraschend teilte das deutsche Nachrichtenbüro in lapidarer Kürze mit, daß Hitler den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheits-Polizei und des SD, zum stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt habe.
    Was war hinter den Kulissen

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