Prinz Rajin - Der Verdammte
Boden sank. Schon war Unjan, der Erste Drachenreiter von Sukara, zur Stelle, um ihm den Kopf mit einem einzigen Streich seines Matana-Schwerts von den Schultern zu schlagen. Der kantige Schädel des Dreiarmigen rollte über den Boden. Die Fratze seines im Tode erstarrten Gesichts wirkte wie eine Mischung aus verwundertem Grinsen und einem Ausdruck tiefsten Entsetzens.
Liisho stand taumelnd da. Er wirkte in diesem Moment um Jahre gealtert. Falten zerfurchten sein Gesicht in nie gekannter Weise, Adern traten darin deutlich hervor, und Haare lösten sich büschelweise aus seinem weißen Bart und fielen herab.
Rajin sah dies. Er runzelte die Stirn, und der Weise bemerkte den fragenden Blick seines prinzlichen Zöglings sehr wohl.
„Alles fordert seinen Preis!“, hörte Rajin die Gedankenstimme seines Mentors. Erst die Begegnung mit dem Magier Abrynos aus Lasapur und jetzt dieser Kampf ums nackte Überleben – beides musste den Weisen von unbestimmbarem Alter ungeheuer viel an innerer Kraft gekostet haben. Und vielleicht sogar noch mehr als das, ging es Rajin durch den Sinn. Es war das erste Mal, dass er diesen scheinbar so übermächtigen Mann, dem nicht einmal das Alter etwas anzuhaben vermochte und der Rajin stets unerreichbar überlegen erschienen war, in einem Augenblick der Schwäche erlebte.
„Die Drachen!“, murmelte Liisho, und die Worte hallten gleichzeitig mit der Kraft seiner Gedankenstimme in Rajins Innerem wieder. „Die Drachen. Wir müssen sie befreien …“
Rajin kämpfte sich in Richtung der Drachenpferche. Das Brüllen der Tiere war ohrenbetäubend. Rajin spürte auch die Schreie ihrer Seelen.
Ghuurrhaan!, durchfuhr es ihn.
Er wich dem Axthieb eines Dreiarmigen aus, parierte und hieb ihm den dickeren Arm ab. Blut schoss aus dem Stumpf. Rajin beachtete den Verstümmelten nicht mehr, sondern strebte weiter auf die Pferche zu. „Ghuurrhaan, erhebe dich!“, rief er in Gedanken, und er spürte die geistige Verbindung zu dem ehemaligen Wilddrachen von der Insel der Vergessenen Schatten, den er sich gezähmt hatte. Ghuurrhaan war größer und mächtiger als die meisten gewöhnlichen Kriegsdrachen. Und vor allem war er es gewöhnt, sich seine Nahrung selbst zu erjagen, aber Fürst Payu hatte davor gewarnt, ihn allzu oft frei herumfliegen zu lassen: Die Fischer und Bauern der Umgebung hätten ihn für einen Wilddrachen gehalten, und allein deswegen hätte er schon erhebliches Aufsehen erregt. Das hatte der Fürst vermeiden wollen. Doch auch wenn sich Ghuurrhaan bisher recht ruhig verhalten hatte, hieß das nicht, dass er sich an das Leben in einem Drachenpferch gewöhnt hatte. Angekettet auf Futter zu warten und ansonsten den Tag zu verdösen, wenn nicht gerade ein Ritt bevorstand, das mochte für jene degenerierten Verwandten genug sein, die vom Schlüpfen aus dem Drachenei an unter Menschen gelebt hatten, nicht aber für Ghuurrhaan. Der Weise Liisho hatte Rajin jedoch gezeigt, wie er seine innere Kraft einsetzen konnte, um den Drachen zumindest soweit zu beruhigen, dass für die Drachenpfleger des Fürsten keine Lebensgefahr bestand, wenn sie ihm die in letzter Zeit durch die steigenden Preise immer kargeren Seemammutportionen brachten oder versuchten, seinen Schuppenpanzer zu reinigen.
Dafür, dass ein Kriegsdrache nicht von seinem Feueratem Gebrauch machte, solange er sich im Pferch befand, war jeder Samurai selbst verantwortlich, weswegen die Mitglieder der Drachenreiter-Garde des Fürsten viel Zeit in den Pferchen verbrachten und stets darauf achteten, mit ihrem jeweiligen Tier in geistigem Kontakt zu bleiben. Normalerweise geschah es bei einem gut erzogenen Kriegsdrachen nicht, dass er sein Feuer hervorschießen ließ, solange er im Pferch war – und wenn doch, wurde sein Besitzer dafür in Schadenersatzhaftung genommen.
Da es aber auch hin und wieder vorkam, dass die Erziehung eines Drachen misslang, waren die Gatter und Gebäude von Drachenpferchen in der Regel aus Stein, und alle brennbaren Bestandteile an benachbarten Gebäuden mussten mit einer seltenen Erde bestrichen werden, die man in den Ausläufern des Dachs der Welt gewann und die feuerabweisend wirkte. Nur aus diesem Grund standen die Dächer rund um die Pferche auch noch nicht in hellen Flammen, obwohl sie immer wieder von Brandpfeilen getroffen wurden.
„Ghuurrhaan! Erhebe dich!“ schrie Rajin wie in einem Kampfschrei und mobilisierte alles an innerer Kraft, als er das Gatter der Pferche erreichte. Dieses diente
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