Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
Kugel, die die Botschaft des Sonnenkreises verkündete.
Die heiligen Zeichen. Skaia und der Horrlekin. Auge in Auge, Sinn in Sinn. Skaia fühlte, was der Horrlekin auf der Kugel ertastete: „Denk an den Mond.“ Und was er dachte: „Ich war doch da für den Mond, für die Nacht, für die Königin! Nur war sie schwach. Viel zu schwach. Hatte keinen Grund, über Späße zu lachen. Keine Freude. Ließ mich stehen, überließ mich den Schatten, dem Auswurf der Seele ...“
„Ja, die Schatten waren mächtig bei ihr. Übermächtig beinah’.“
Leise drehten sie sich im Kreis. Ein langsamer Tanz, um den herum das Feuer der Blaukappe wogte.
Er dachte: „Was sollte ich tun? Nur das Mondauge fühlte mit mir.“
„Du hast es genommen.“
„Ich habe es genommen. Befreit aus der Kälte. Aber die Schatten ...“
„Nisteten längst in deinem Herzen ...“
„Ja. Böse und stark. Und das Mondauge machte mich mächtig. Ich kannte die Gefühle von jedem. Konnte Späße damit treiben. Ich war nicht mehr der kleine Clown, der hampelnde Harlekin, der dumme August.“
„Warst du das je?“
„Bei der Königin ...“
„Und zu Hause? Bei Gura?“
„Ja. ― Nein ... Da hatte ich bunte Federn ...“
„Sie wären schön im Sonnenschein.“
„Alles vergeht. Das Silberlicht, der Mond ...“
„Die Flüsse, die Quellen, die Tiere, die Zeit ...“
„Nur nicht die Angst ...“
„... und die Hoffnung.“
„Einsamkeit ...“
„Freunde ...“
„Die Dummheit ...“
„...ist ewig, wie der Verstand.“
„Die Rache ...“
„... wenn man nicht Acht gibt.“
„Das Böse ...“
„... und das Verzeihen.“
Still standen sie da. Die Augen geschlossen.
Seine Finger gaben die Kugel frei. „Die Sonne muss wunderbar sein.“
Ihre Hand entließ den Beutel. „Der Mond ist es auch!“
Das Licht der Blaukappe schrumpfte. Entließ die beiden in die Nacht. Der Abendstern funkelte, explodierte, überstrahlte das Firmament. Zerfiel in Lilienbahnen vor den Sternen. Das Himmelsblau flirrte, warf sich in Falten, überschlug sich, machte Platz für leuchtendes Gold: zwei flatternde Mäntel, die sich den Himmel teilten, die Umhänge der Achtung gebietenden, steinernen Statuen, die über den Ruinen erstanden ― eine Königin mit Sichel im Haar, ein König, bekrönt vom Strahlenkranz. Ihre Hände ruhten auf den Lehnen ihres Doppelthrones, auf ewig verbunden durch zwei silberne Bänder mit acht Kugeln daran.
Raben jagten um ihre Häupter, bis das ganze Bild erlosch. Die Statuen, die umschlungenen Hände, die Doppelkette mit den Kugeln ― alles löste sich auf. Mit Donnergrollen fielen die Mäntel hinter den weißen Horizont. Die Raben stoben krächzend in alle Richtungen davon.
Rot stieg die Sonne am Himmel auf. Freundlich strich sie am blassen, kugelrunden Mond vorbei. Es war das Vollendetste, was Skaia je gesehen hatte.
Die Säulenstümpfe warfen Schatten. Und neben den Ruinen war plötzlich Neuland. Durch Felsengewirr und Pflanzengestrüpp lief ein Weg, den es vorher nicht gegeben hatte ― derart gerade, als habe ihn jemand am Schreibtisch mit einem Lineal in der Hand geplant. So war es mit Sicherheit auch gewesen, denn es handelte sich zweifellos um eine Straße Sols, der Hauptstadt Solterras. Flankiert war sie von weißen Wohnwürfeln. Nur standen die nicht mehr dicht an dicht wie üblich. Wuchernde Wildnis hatte sich dazwischengedrängt.
Aus den Fenstern blickten verschreckte Solterraner. Skaia, die es selbst kaum fassen konnte, wie sich alles verändert hatte, wusste, was in ihnen vorging: „Ich sehe etwas, das gar nicht sein kann. Es ist nicht erklärbar, dass sich die Straße auseinandergezogen hat, um ungepflegtem Gestrüpp Platz zu machen. Es tauchen nicht einfach Ruinen aus dem Nichts aus. Erst recht nicht mit Statuen geflügelter Schweine. Menschen mit schwarzen Federn am Körper gibt es nicht, auch keine blauen Flämmchen, die frei herumfliegen dürfen. Und diese Leute habe ich allesamt in meiner Straße noch nie gesehen. Die blasse Kugel am Himmel neben der Sonne ist die Absurdität schlechthin. Es gibt nur eine einzige vernünftige Erklärung: Ich habe komplett den Verstand verloren.“ Es musste für sie die schlimmste Erkenntnis sein, die sie haben konnten.
„Schaut nicht nur. Kommt heraus. Es ist alles echt!“, rief ihnen Skaia zu. Sie drehte Pirouetten, rief es in alle Richtungen. Am liebsten wäre sie sofort losgelaufen, um zu sehen, wie es links und rechts von ihr weiter ging. Und allen
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