Prinzessin in Pink
seitlich geschlitzt, war es trotzdem das schönste Abschlussballkleid, das ich je gesehen hatte. Es war schöner als das von Rachael Leigh Cook in »Die oder keine« oder das von Drew Barrymore in »Ungeküsst« oder als der Kartoffelsack von Molly Ringwald in »Pretty in Pink«. Es war sogar schöner als das Kleid, das Annie Potts Molly Ringwald in »Pretty in Pink« leiht, bevor die dann komplett durchdreht und es mit der Zackenschere ruiniert.
Es war das schönste Abschlussballkleid der Welt.
Und während ich noch so dastand und es bewunderte, bildete sich in meiner Kehle ein dicker, fetter Kloß.
Klar. Weil ich ja gar nicht auf den Abschlussball gehe.
Also verließ ich das Zimmer, machte die Tür hinter mir zu und setzte mich wieder still aufs Sofa zu Dad, der immer noch wie hypnotisiert auf den Fernseher schaute.
Eine Sekunde später legte Grandmère den Hörer auf, drehte sich zu mir um und fragte: »Und?«
»Es ist echt total schön, Grandmère«, sagte ich ehrlich.
»Natürlich ist es schön«, sagte sie. »Willst du es nicht anprobieren?«
Ich musste schwer schlucken, um mit einigermaßen normaler Stimme sprechen zu können.
»Kann ich nicht«, sagte ich. »Ich hab dir doch erzählt, dass ich nicht zum Abschlussball gehe.«
»Papperlapapp!«, schnaubte Grandmère. »Zwar hat eben der Sultan angerufen, um unsere Verabredung für heute Abend abzusagen - das ›Le Cirque‹ ist geschlossen -, aber bis Samstag wird dieser alberne Streik ja wohl beendet sein. Und dann kannst du auf euren kleinen Ball gehen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es hat nichts mit dem Streik zu tun. Ich hab’s dir doch erzählt. Es ist wegen Michael.«
»Was ist wegen Michael?«, schaltete sich Dad ein. Aber ich rede vor ihm nicht gern schlecht über Michael, weil er immer nach einem Grund sucht, ihn zu hassen. Schließlich ist er mein Vater und alle Väter hassen die Freunde ihrer Töchter. Bis jetzt verstehen sich Dad und Michael noch ganz gut und das soll so bleiben.
»Ach«, sagte ich leichthin. »Du kennst das doch. Jungs interessieren sich eben nicht so für Abschlussbälle wie Mädchen.«
Er grunzte nur und wandte sich wieder dem Fernseher zu. »Das kannst du laut sagen.«
Ja, ja! Er war schließlich auf einer reinen Jungenschule! Bei denen gab es gar keinen Abschlussball!
»Probier es trotzdem mal an«, meinte Grandmère. »Damit ich es zurückschicken und ändern lassen kann, falls nötig.«
»Grandmère«, protestierte ich. »Es hat keinen Zweck …«
Aber ich verstummte, weil dieser gewisse Ausdruck in Grandmères Augen trat. Wäre sie keine Fürstinmutter, sondern professionelle Auftragskillerin, würde dieser Ausdruck jedem sagen, dass irgendjemand gleich sehr, sehr tot sein wird.
Also stand ich gehorsam vom Sofa auf und ging wieder in Grandmères Schlafzimmer, um das Kleid anzuprobieren. Natürlich
passte es wie angegossen, weil die bei Chanel noch vom letzten Kleid, das Grandmère mir dort schneidern ließ, alle meine Maße haben und es ja noch schöner wäre, wenn ich weiterwachsen würde (vor allem im Brustbereich).
Als ich mich in dem hohen Spiegel betrachtete, fiel mir spontan auf, dass solche schulterfreien Kleider eigentlich sehr praktisch sind. Zum Beispiel falls Michael und ich jemals in Phase zwei eintreten sollten.
Nur fiel mir dann auch sofort wieder ein, dass wir ja nie irgendwohin gehen, wo ich dieses Kleid anziehen kann, weil er den Abschlussball definitiv abgeschrieben hat, weshalb das ganze schöne Kleid komplett nutzlos ist. Niedergeschlagen zog ich es wieder aus und legte es auf Grandmères Bett. Vielleicht ergibt sich diesen Sommer in Genovia irgendeine Gelegenheit, wo ich es anziehen kann. Wenn Michael nicht dabei ist. Was mal wieder typisch ist.
Ich kam gerade rechtzeitig in den Salon zurück, um Lilly im Fernseher zu sehen. Sie war wieder im Holiday Inn und redete mit ein paar Reportern. »Ich sage nur, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn die genovesische Fürstinmutter öffentlich zugegeben hätte, dass sie ihre Töle, die sie anscheinend nicht im Griff hat, in das Restaurant geschmuggelt hat.«
Grandmère klappte die Kinnlade herunter. Dad starrte nur frostig auf den Fernseher.
»Und hier ist der Beweis.« Lilly winkte mit der heutigen Ausgabe vom Atom . »Diesen Artikel hat die Enkelin der Fürstinmutter eigenhändig geschrieben.«
Und dann hörte ich mit Entsetzen zu, wie Lilly den Reportern mit leiernder Stimme meinen Artikel vorlas. Und ich muss sagen, erst als mir
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg