Privatdetektive (16 Romane in einem Band)
aus Brannigans Erzählung, nehme ich an..."
"Was wollen Sie damit sagen? Es war ein traumatisches Erlebnis und seitdem hatte er auch die Waffe bei sich." Sie zuckte die Achseln. "Wir haben nicht oft darüber gesprochen. Es war Walt unangenehm und ich wollte nicht in der Wunde herumbohren."
"Bei wem war er in Therapie?"
"Bei einem gewissen Dr. Stanley. Aaron Stanley, glaube ich."
"Wenn Sie noch etwas wissen, erzählen Sie es mir besser. Von diesem Dr. Stanley werde ich es kaum erfahren. Der wird sich auf seine Schweigepflicht berufen!"
Sie nickte.
Jo sah sich den Inhalt der Schublade an. Er fand eine Straßenkarte von Vermont und einige zusammengerollte Bilder. Aquarelle und Kohlezeichnungen in verschiedenen Formaten.
Jo zeigte Miss Carter die Blätter. "Kennen Sie die?"
"Nein. Ich wußte gar nicht, daß er sich künstlerisch betätigte."
"Die Sachen sind datiert... Ungefähr jede Woche eins."
"Ich schätze, daß er sie während seiner wöchentlichen Therapie-Sitzungen gemalt hat", meldete sich nun Joanne zu Wort.
"Haben Sie nie mit ihm darüber gesprochen, was dort ablief?"
"Nein. Und das ist jetzt die Wahrheit. Er meinte, daß das allein seine Sache sei und er damit fertig werden müßte."
Einige der Bilder zeigten offenbar die Szene des Überfalls. Der tote Freund, die Mugger. Es war alles deutlich zu sehen.
Dann nahm sich Jo die Karte von Vermont vor. Eine Stelle war markiert.
"Was könnte das zu bedeuten haben?" fragte Jo.
"Keine Ahnung", kam die Antwort. "Vor ein paar Wochen war Walt mal in Vermont. Ich glaube, das muß etwas mit seiner Arbeit zu tun haben. Aber über den Job haben wir nie gesprochen. Das eine feste Regel in unserer Beziehung."
Zum Teufel mit dieser Regel! dachte Jo. Ohne sie wäre es vielleicht einfacher gewesen, in der Sache voranzukommen.
*
Das Ingenieur-Büro P. McGreedy war eine hervorragende Adresse im Brückenbau, wenn man den Informationen glauben schenken konnte, die Walkers Assistentin April über diese Firma eingeholt hatte.
Als Jo am nächsten Tag dort auftauchte und die Büros im fünfzehnten Stock eines an der Third Avenue gelegenen Turms sah, schien es nicht geringsten Anlaß zu geben, daran zu zweifeln.
Wer sich Geschäftsräume leisten konnte, die eine solche Top-Adresse hatten, der mußte sehr gut und sehr erfolgreich sein.
Ein Mann mit dunklem Teint und dünnem Oberlippenbart reichte Jo die Hand und zeigte ihm bei seinem geschäftsmäßigen Lächeln zwei Reihen blitzender Zähne. Dieses Lächeln war gut einstudiert. Aber es sagte nichts aus, sondern war reine Maske.
"Mein Name ist Hernandez. Ich nehme an, Sie kommen von Miller Inc. und wollen die Entwürfe sehen. Man hat mir schon gesagt, daß..."
"Mein Name ist Walker und ich komme nicht von Miller Inc.", unterbrach ihn Jo.
Jetzt erst schien Hernandez Jo etwas genauer anzusehen. Er runzelte für einen Moment die Stirn und meinte dann: "Macht ja nichts. Vielleicht kann ich Ihnen trotzdem weiterhelfen."
"In diesem Ingenieurbüro war ein Mann namens Brannigan tätig..."
Ein Schatten flog augenblicklich über Hernandez Gesicht. Seine aufgesetzte Freundlichkeit war wie weggeblasen.
"Was soll die Fragerei? Ich dachte, die Polizei hätte dieses leidige Kapitel endlich abgeschlossen!"
"Hat sie auch. Aber ich interessiere mich trotzdem dafür."
"Sie sind von der Presse, stimmt's? Machen Sie, daß Sie rauskommen!"
"Ich bin Privatdetektiv und ermittle im Auftrag von Brannigans Lebensgefährtin. Sie kommt über die Sache nicht so leicht hinweg!"
Herandez musterte Jo abschätzig von oben bis unten und meinte dann: "Um so schändlicher von Ihnen, daß Sie aus der Geschichte noch Geld zu machen versuchen!" Er verzog das Gesicht und versuchte damit, Verachtung zu signalisieren. Aber seine Maske funktionierte diesmal nicht so ganz. Es war nicht Verachtung Jo gegenüber, die Hernandez in erster Linie empfand. Da war noch irgendetwas anderes, das viel stärker war. Jo konnte es deutlich spüren.
"War Brannigan ein guter Ingenieur?" fragte Jo.
"Schon möglich!" knirschte Hernandez. "Wissen Sie was? Bei mir sind Sie an der falschen Adresse, wenn Sie etwas über Brannigan erfahren wollen."
"Haben Sie nicht zusammengearbeitet?"
"Ich hatte kaum Kontakt zu ihm."
"Mochten Sie ihn nicht?"
"Nein." Er atmete tief durch. "Und Ihre Fragerei mag ich genauso wenig!"
Plötzlich durchschnitt eine energische Frauenstimme die stickige Büroluft und ließ die beiden Männer herumwirbeln. "Darf ich vielleicht erfahren,
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