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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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für Gundi, wenn sie in eine Spezialbehandlung kommt.«
    »Das stammt von Merckel?«
    »Ja.«
    »Und wohin soll sie?«
    »Ich weiß nicht. Der Pfarrer kennt da einige Kliniken.«
    Und so saßen sich schon zwei Tage nach seiner Entlassung Peter Kaul und Pfarrer Merckel wieder gegenüber. Wieder roch das Arbeitszimmer mit dem alten Betstuhl und der herrlichen Madonna nach Schnaps, als Kaul eingelassen wurde. Erschrocken stellte Kaul fest, daß Merckels Blick glänzend und starr war, mit weiten Pupillen, den Augen eines Trinkers, der an der Grenze zum Umfallen wandelt, auf jenem winzig schmalen Grat der Seligkeit, neben dem zu allen Seiten der Abgrund lauert. Peter Kaul kannte diesen Zustand, er war oft genug über den Schwebebalken der Euphorie balanciert, um dann abzustürzen in die Schwärze des Rausches.
    Peter Kaul setzte sich zögernd und starrte den Pfarrer an. Unter dem Tisch, halb versteckt durch die tief herabhängende Tischdecke, sah er eine Flasche stehen. Halb leer. Ein Klarer. Er riß seinen Blick davon weg und sah wieder auf Merckel, der in gerader Haltung, das Kinn vorgeschoben, mit stampfenden Beinen durch das Zimmer ging, zum Schrank, ihn öffnete und eine Flasche Mineralwasser herausholte. Dann kam er zurück, breit und wuchtig, ein Bild erdhafter Stärke und praller Gesundheit und in Wahrheit eine Eiche, hinter deren dicker Rinde die Fäulnis Höhlung nach Höhlung fraß.
    »Was gibt es, mein Sohn?« fragte Pfarrer Merckel mit seiner dröhnenden Baßstimme. »Es freut mich, daß alles so schnell gegangen ist. Heute kann ich Ihnen sagen, daß Sie am Ende waren. Ihre Rückkehr, Ihre so schnelle Rückkehr ist wie ein Wunder, wenn's das noch gäbe. Meistens rechnet man mit mindestens sieben Monaten! Ich könnte gemein sein und sagen: Trinken Sie einen Schnaps mit mir, um zu sehen, wie Sie reagieren …«
    »Ich würde ablehnen, Herr Pfarrer.« Kauls Stimme war belegt. Mein Gott, dachte er. Keiner hat es gesehen, keiner sieht es bis heute, wie lange aber wird es noch dauern, diese Blindheit der Umwelt: Der Pfarrer ist ja ein Trinker! Ich sehe es, ich habe ja den Blick dafür, ich komme ja aus der Gemeinschaft der Verlorenen. Ich hatte einen Hubert Bollanz und eine eingebildete Schuld … was aber mag er haben, er, der Pfarrer, der Diener Gottes, der Verkünder der Worte von Liebe und Vergebung? Wenn er trinkt, o mein Gott, wie groß muß dann seine Schuld sein? Oder trinkt er aus Verzweiflung? Aus Einsamkeit? Sieht und hört er mehr, er, der Priester, als ein Mensch verkraften kann?
    Merckel blieb vor Kaul stehen und sah auf ihn herab. Ein Lächeln überflog die zerfurchten Bärenzüge seines Gesichtes.
    »Sie haben die Flasche unterm Tisch gesehen?«
    »Ja, Herr Pfarrer.«
    »Ich habe morgen ein Begräbnis. Ein hoher Offizier. Starb regelwidrig im Bett und nicht auf dem auch von ihm viel besungenen ›Feld der Ehre‹. Die Glanznummer – der ›Heldentod‹ – blieb ihm versagt … er starb profan an einem Prostataleiden. Mag sein, daß er schon ein zu hoher Offizier war, um als idealer Soldat abzugehen. Nun muß ich die Grabrede halten, lieber Freund. Das Leben eines Mannes zieht vorbei, der von Kindesbeinen an nur mit dem Säbel rasselte, zuerst als Hosennässer mit einem Säbel aus Holz, dann ab zehn Jahren, als Kadett, mit einem echten, und dann über alle Jahrzehnte hinweg immer wieder: ›Hurra! Es lebe seine Majestät! Nieder mit Franzos' und Engeland!‹, und später: ›Heil, mein Führer! Der Endsieg ist unser! Jeden Meter deutschen Bodens tränkt das Blut unserer Feinde!‹ und schließlich, Exzellenz war immerhin jetzt neunundachtzig Jahre: ›Eine Demokratie ist die einzige Staatsform deutschen Friedenswillens!‹« Pfarrer Merckel hob beide Arme und ließ sie an den breiten Körper zurückfallen. »Was soll ich da sagen, mein Lieber, am Grab einer Seele, die paradieseinlaßheischend vor Gott pendelt? Was war denn Exzellenz nun wirklich? Ein Feldherr oder ein Kriegsverbrecher? Ein großer Deutscher oder ein militanter Hasardeur? Ein Kämpfer für die Nation oder ein Schlächter deutscher Jugend? Ein Schild gegen den Osten oder ein Verbrecher gegen die Menschlichkeit? Das Vokabularium ist groß … und ich soll die richtigen Worte finden! Da muß man ja ein Schnäpschen trinken, um in der Auswahl der Möglichkeiten nicht zu verkommen.« Pfarrer Merckel setzte sich neben Kaul, griff unter den Tisch, holte die Flasche und ein schlankes, hohes Glas hervor, goß ein und kippte den Schnaps in

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