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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pfarrer, warum tun Sie das alles für mich?«
    »Weil du ein Trinker bist!« Die Antwort war klar und laut und wie ein Peitschenhieb. Kaul zuckte zusammen und hob wie schutzsuchend die Schultern. »Ich will einen Trinker wieder glücklich machen, gerade ich … Vielleicht betrachtet Gott einmal diese kleine Tat als ein Einlaßbillet in die ewige Stille der Reue …«
    Erschüttert, sprachlos verließ Peter Kaul das Pfarrhaus.
    Es schneite nun auch in Köln.
    Zwar blieb der Schnee nicht liegen, sondern wurde in kürzester Zeit schmutzig-grau, dann matschig und schließlich weggeschoben in die Gosse, aber in den Randbezirken blieb er liegen, im Grüngürtel, in den wenigen Stadtparks, im Stadion und zwischen den noch immer vorhandenen Ruinen, die wie abgefaulte Zahnstümpfe inmitten der aufragenden Neubauten wirkten.
    Es war kurz vor Weihnachten. Die Einkaufsstraßen der Altstadt – Hohe Straße, Schildergasse, Breite Straße, Ehrenstraße – waren durch Lichterketten illuminiert, auf dem Friesenplatz und vor dem Hahnentor am Rudolfsplatz standen riesige Tannen, das Geschäft blühte, die Weihnachtsgratifikationen wurden umgesetzt, von der altehrwürdigen hölzernen Kinderrassel bis zum Nerzmantel wanderte alles in Tüten und Kartons … nur noch wenige Tage, und man würde aus vollem Herzen singen können: Stille Nacht, heilige Nacht … denn die Kassen waren gefüllt wie in keinem Jahr zuvor. Der Wohlstand war wie eine Sintflut. Das Kind in der Krippe zu Bethlehem war zum Startschuß eines Rennens geworden: Wer erwischt an diesem Weihnachtsfest den saftigsten Brocken? Meyers von nebenan haben sich eine neue Sitzgarnitur bestellt. Ist schon geliefert worden. Grauer Velours, mit Volants. Eine viersitzige Couch sogar! Soll man sich lumpen und etwa die Vermutung aufkommen lassen, man hätte weniger Geld als die Meyers? Wozu die Schwarzarbeit während des ganzen Jahres? Manne, jetzt knall die Karten auf'n Tisch! Einen südafrikanischen Persianer mit Saphirnerzkragen, und die Meyersche fällt um!
    Süßer die Glocken nie klingen …
    In diesen Tagen starb plötzlich wie vom Blitz gefällt, Jim, das Kamel.
    Er starb würdig, trotz seiner Eile. Er starb während des Trinkens, den Hals einer Wermutflasche zwischen den Lippen. Er lag auf dem Rücken, hatte die Beine angewinkelt, und erst, als der süßklebrige Wein nicht mehr in seinen Mund, sondern über seinen Hals lief, merkten die anderen, daß etwas nicht stimmen konnte. Sie rüttelten Jim, das Kamel, er rollte zur Seite, die Flasche kollerte gegen die Wand, seine großen, immer beleidigten Kinderaugen waren starr und gläsern.
    Da wußte man, daß er tot war, ohne daß man noch lange an seiner behaarten Brust zu horchen brauchte. Man faßte ihn an Armen und Beinen und trug ihn in einen Nebenraum des Bunkers, legte ihn auf eine Pritsche und deckte über sein Gesicht einen alten Putzlappen. Dann sah man die Notwendigkeit ein, doch den Doktor zu holen und überhaupt die ganze Skala behördlicher Totenbeglaubigung ablaufen zu lassen, denn Jim, das Kamel, war schließlich ein Christenmensch gewesen, einer der wenigen, die sonntags ab und zu in die Kirche gingen und mit dem Sonntagssaufen erst nach der Messe begannen. Meist hatte er dann hinten unter der Orgelempore gestanden, an die Wand gelehnt, und jeder, der an ihm vorbeiging, rümpfte die Nase, denn er stank ja immer nach Fusel und Schweiß und Dreck. »So etwas müßte man aus der Kirche weisen!« sagte einmal eine Frau in Verkennung von Gottes Liebe. Jim hatte nicht geantwortet. Warum auch? Wenn man so weit außerhalb der Gesellschaft steht, verlieren alle Worte ihre Überzeugungskraft. Aber er tat etwas, worunter er den ganzen Sonntag zu leiden hatte: Das Geld für die nächste Flasche steckte er in den Opferstock. Bis zum Abend mußte er sich durchbetteln bei den anderen, die ihn wieder das Kamel nannten und ihm einen Schluck aus ihrer Flasche gönnten.
    Nun war er tot, lag unter Putzlappen auf einer Holzpritsche, und vier Kumpane schwärmten aus, um Dr. Linden zu suchen.
    Der Abstieg Lindens in diesen Wochen war wie der Fall eines Ikarus gewesen. Nach seiner Flucht von der Seite Brigittes aus dem Kaufhaus war er nicht zurückgelaufen in den Bunker, sondern hielt sich in einer Gasse am Rhein verborgen. Für zweihundert Mark erkaufte er sich das Recht, hinter einem Vorhang im Zimmer einer Dirne zu schlafen, mit der einzigen Verpflichtung, still zu sein und nicht zu stören.
    Er versprach es, besorgte sich einige

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