Privatklinik
rülpsen Sie … bei der Gräfin ist das anders – das ganze Leben kotzt sie an.«
Die Leiter der Feuerwehr knirschte an den Eisenträgern hoch. Der Motor der Winde brummte.
»Reden Sie ihr doch zu!« rief der Wachtmeister. »Das ist ja Wahnsinn, was sie vorhat.«
»Zureden?« René, der Kavalier, hielt seinen Schirm über sich. Es schneite wieder stärker. »Versuchen Sie einem Maulwurf einzureden, er soll keine Hügel werfen. Er wird es nicht verstehen, er muß nach seiner Natur leben. Hier können wir gar nichts machen … wir werden erleben, wie eine Gräfin stirbt …«
Auf dem Eisenträger hatte sich die Gräfin erhoben. Schwankend stand sie da, hielt sich fest im Schneewind und warf die leere Flasche in den Rhein. In einem schönen Bogen fiel sie hinunter, hüpfte etwas auf dem Wasser und schwamm unter der Brücke davon, getragen vom Strom.
»René!«
Der Angerufene klappte seinen Schirm zusammen und sah hinauf.
»Jutta!« schrie er zurück.
»Es lohnt sich alles nicht!« schrie sie. Wie eine schwarze Fahne, um den Mast gerollt, schwankte sie auf dem Träger. »Auch der Suff verrät uns!« Als ihr Körper durch die Luft schwebte, schrien die gaffenden Leute auf der Brücke auf, eine alte Frau fiel in Ohnmacht, ein Kind fragte seinen Vater: »Papa, kommt die Tante gleich sammeln?«, die Feuerwehrleute und Polizisten beugten sich über das Geländer, ein Mann sagte: »Sicher wieder ein Behördenopfer!« und ein junger Mann meinte: »Die war bestimmt bekloppt!«
Dann schlug Jutta, die Gräfin, auf dem Rhein auf, mit dem Rücken zuerst, und sie fror nicht mehr, denn der Aufprall aus dieser Höhe brach ihr sofort die Rücken- und Nackenwirbel. Nicht einmal versinken wollte sie … wie ein schwarzes Stück Holz trieb sie unter der Brücke durch, bis sich ihre Kleider vollsaugten und sie hinabzogen in den Rhein.
René, der Kavalier, spannte seinen Regenschirm wieder auf, klopfte sich den Schnee vom Mantel und ärgerte sich, daß seine Handschuhe dabei naß wurden.
Der Morgen war sonnig und kalt.
Im Frühstückszimmer von Schloß Bornfeld, einem kreisrunden kleinen Saal im Rokokostil, traf sich die abendliche Kaminrunde wieder, diesmal nicht geschützt durch Dämmerung und flackerndes Kaminfeuer, sondern mitleidlos der Morgensonne ausgesetzt.
Dr. Linden hatte eine schlimme Nacht verbracht. Er wußte aus seiner Praxis zu gut, was es heißt, plötzlich den Alkohol entzogen zu bekommen. Auch die starke Beruhigungsinjektion, die ihm eine junge Schwester vor dem Zubettgehen gab, änderte nichts daran, daß seine Sehnsucht nach Alkohol übermächtig wurde. Gegen Morgen, schweißgebadet, in seiner Verzweiflung auf einem Holzspan kauend, den er von einem Tischbein gerissen hatte, war er bereit, auszubrechen, wegzulaufen, durch den Schnee, durch die unbekannte Weite, irgendwohin, nur weg. Er hatte das Fenster aufgerissen und sich hinausgelehnt in die eisige Nacht. Kein Gitter hinderte ihn, wegzulaufen. Es lag in seinem Ermessen, wie er handeln würde. Die Freiheit lag vor ihm wie ein gedeckter Tisch. Aber diese Freiheit bedeutete gleichzeitig auch das Ende.
Dr. Linden flüchtete nicht. Er kletterte nicht aus dem Fenster – er blieb in der Kälte stehen, zitterte vor Frost und hoffte, daß er am Morgen eine Lungenentzündung haben würde. Aber der Morgen kam, er hustete nicht einmal, kein Schnupfen zeigte sich an, im Gegenteil, er fühlte sich trotz der durchwachten Nacht frischer als sonst und spürte einen lange unbekannten Morgenappetit.
Brauereibesitzer Ewald Hoppnatz und Nationalökonom Dr. Wiggert hatten ihm einen Platz an ihrem Dreiertisch freigehalten. Der Sinologe Prof. Dr. Heitzner fehlte am Kaffeetisch. Niemand sprach darüber, aber jeder wußte es: Der Professor hatte um eine Injektion gebeten. Die Aufregung des Neuzugangs hatte ihn umgeworfen. »Ich rieche es!« sagte Prof. Heitzner jedesmal, wenn ein Neuer in ihre Runde kam. »Sie atmen alle den Alkohol aus. Ihre Poren sind getränkt, gesättigt davon. Wenn sie schwitzen, duftet es nach Schnaps. Ihre Haut strömt den Geruch aus wie Blumen ihren Nektar. Ich habe ein feines Empfinden dafür …«
So war es auch bei Dr. Linden. Prof. Heitzner hatte wieder den Geruch von Alkohol in der Nase. Er ließ sich Betäubungsspritzen geben, um allen Anfechtungen und aller Selbstqual zu entgehen.
»Machen wir nachher einen Spaziergang?« fragte Brauereibesitzer Hoppnatz. »Zum Teich und durch den Birkenwald. Unsere Gruppe hat heute keinen Stalldienst
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