Privatklinik
Himmel, der auf die Erde stieß, Weite und Einsamkeit. Ein Gefängnis, dessen Gitter die Glocke des Himmels war.
»Die anderen Gäste sitzen schon bei Tisch. Wenn es den Herrschaften recht ist …«
Dr. Linden schüttelte den Kopf.
»Ich möchte allein sein. Zeigen Sie mir bitte mein Zimmer.«
Eine halbe Stunde später fuhren der Kreisarzt und Brigitte Linden wieder von Schloß Bornfeld ab. Dr. Linden saß am Fenster seines hellen, mit modernen Möbeln ausgestatteten Zimmers und sah hinaus auf den schneeträumenden Park. Er hatte sich von seiner Frau wie ein vollendeter Kavalier verabschiedet, mit einem Kuß und Liebesworten. Aber alles klang unecht, einstudiert, zu glatt, zu galant. Nur als sie schon in der offenen Tür stand, hatte er etwas Ehrliches gesagt: »Gitte – glaub mir, ich habe nicht gewußt, was in mir steckt …« Dann hatte er sich abgewandt und die Verbindung zur Außenwelt damit abgebrochen.
Erst am Abend wurde Dr. Linden den anderen Schloßgästen vorgestellt. Man saß in der dämmrigen Jagdhalle um den großen, mit Buchenkloben gespeisten Kamin, trank Fruchtsäfte und rauchte. Der Feuerschein überzuckte die Gesichter und ließ sie rot werden wie die zufriedener Bordeauxtrinker.
»Meine Herren«, sagte Diakon Weigel, als er mit Dr. Linden die Halle betrat. »Darf ich Ihnen unseren neuen Gast vorstellen. Doktor Konrad Linden, Hirnchirurg.«
Aus den ledernen Kaminsesseln erhoben sich vier Herren im Abendanzug. Auch die anderen Gäste standen auf. Wie Lemuren tauchten sie aus der Dämmerung des weiten Saales auf.
Markante Köpfe, faltig oder zerfurcht, gedunsen oder gegerbt, vergreist oder konserviert. Dr. Lindens Herz zuckte. Meine Freunde aus dem Bunker, nur im Abendanzug und noch im Korsett ihrer Erziehung.
»Von Hammerfels, Landgerichtsdirektor …«
»Doktor Fritz Wiggert, Nationalökonom.«
»Professor Doktor Heitzner, Sinologe.«
»Ewald Hoppnatz, Brauereibesitzer.«
Ein rosiges Schweinchengesicht, flinke, lebendige Äuglein. An den Schläfen aufliegende Adern. Abgekaute Fingernägel, eine Glatze, poliert wie ein Marmorboden.
Dr. Linden drückte Hände. Er hörte weitere Namen, neue Titel, fühlte andere Hände, harte und weiche, schwitzige und schwammige, dürre und fleischige.
»Ein Glas Tomatensaft?« fragte der Sinologe Prof. Heitzner. Dr. Linden schüttelte den Kopf.
»Verbindlichsten Dank, Herr Professor. Ich begnüge mich mit dem Kaminfeuer. Ich empfinde es immer wieder als faszinierend, daß sich Körperliches in Nichts, in Rauch auflösen kann …«
O ihr Freunde im Bunker von Köln, dachte er, wie beneide ich euch. Ihr braucht nicht zu lügen, denn was verstehen Ratten schon von Wahrheit? Und er setzte sich ans Feuer.
Diese Reise in die Schweiz, zur Clinica Santa Barbara, verzögerte sich etwas. Die Anstaltsleitung schrieb, daß im Augenblick kein Bett für eine Dauerbehandlung frei sei, aber man gäbe sofort Nachricht, wenn dies der Fall sein sollte. Pfarrer Merckel behielt den Brief bei sich und sagte bloß: »Es dauert noch ein paar Wochen. Aber wir haben die Zusage.« Den Brief schloß er weg. Wenn ein Bett frei wird … er wußte, was das bedeutete. Es war die nüchterne Sprache der Verwaltung, hinter der ein kleines, armseliges, unschuldiges Schicksal stand, ein Vegetieren und Atmen, ein Aufnehmen von Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, vielleicht auch ein paar zaghafte Denkvorgänge, bis das alles zusammenbrach und ein kleines Herz einschlief.
Ein Bett war frei geworden …
Um so mehr Freude machte Peter Kaul seine neue Arbeit. Acht Stunden arbeitete er als Elektriker in der Landesheilanstalt, danach ging es auf den Bau von Judo-Fritze, wo er am Innenputz mithalf und die Kunststoffplatten in Badezimmer und Toiletten legte. Die einzige Gefahr, die ihm in diesen Wochen begegnete, war nicht der Alkohol, sondern Lucie Kellermann, Fritzes attraktive Frau aus der Bimbo-Bar. Ihr Interesse für den Neubau war groß, und während Fritze seinen Dienst tat und auf der Station III die renitenten Trinker beruhigte, indem er sie entweder ans Bett fesselte, ihnen eine Schlafinjektion gab oder – bei den Dauergästen – ihnen zwei beruhigende Ohrfeigen knallte, strich Lucie um Peter Kaul herum und berichtete von ihrem Schicksal, immer nur mit einem Gorilla im Bett liegen zu müssen.
»Er ist ja gut, der Fritz«, sagte sie. »Eine Seele von Mensch, aber seine Hände. Haben Sie schon seine Hände genau betrachtet? Wie ein Affe! Und wenn er damit über meinen weißen
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