Privatklinik
aufgestanden war und durch ein Läuten der alten Bronzeglocke im Türmchen des Schlosses Bornfeld den neuen Tag beginnen ließ, gingen Dr. Wiggert und Prof. Dr. Heitzner in den Park. Sie hatten sich in dicke pelzgefütterte Mäntel vermummt und trugen beide unter dem Arm einen der alten Säbel aus der Waffensammlung, die an einer Wandseite der großen Jagdhalle aufgehängt war.
Hinter dem zugefrorenen Teich, zwischen einer Baumgruppe und einem Schuppen, in dem die Gartengeräte aufbewahrt wurden, blieben sie stehen, faßten die Säbel am Knauf und senkten die Klingen.
»Herr Professor«, sagte Dr. Wiggert mit energischer Stimme, »wir waren uns einig, daß eine Privatklage wenig Erfolg hat bei dem Leumund, den man uns vor Gericht ausstellen wird. Andererseits bestehe ich darauf, daß eine Ehrenrettung meiner Person notwendig ist!«
»Ich wiederhole: Ich nehme kein Wort zurück!« Prof. Heitzner wirbelte mit seiner Säbelklinge verharschten Schnee vom Boden auf. »Ich habe gesagt: Sie haben gestern nacht in der Tischlerwerkstatt ein Glas Holzspiritus mit Wasser verdünnt und gesoffen!«
»Lüge!« Dr. Wiggert lief rot an. »Ich habe mein Bett nicht verlassen! Ich schlafe jede Nacht wie ein Murmeltier.«
»In dieser Nacht haben Sie ins Glas gemurmelt!« sagte Prof. Heitzner hoheitsvoll.
»Lüge! Wie wollen Sie mich überhaupt in der Dunkelheit erkannt haben?«
»Herr Doktor Wiggert – ich kenne doch Ihr Nachthemd!«
»Hier tragen mehrere Herren Nachthemden.«
»Aber keins mit einem blauen Saum! Sie haben Holzspiritus gesoffen!«
Dr. Wiggert umklammerte den Säbelknauf. »Also gut!« sagte er gepreßt. »Duellieren wir uns! Kehren wir zur alten akademischen Form der Ehrbereinigung zurück. Sie beherrschen noch die Paukregeln?«
»Bin ich ein Fossil?« Prof. Heitzner hieb eine Terz durch die eisige Luft. »Ich habe zwanzig Partien durchgestanden. Ich bin Saxo-Borusse! Fangen wir also an!«
Sie schabten mit den Schuhen den Schnee weg, weil er sie behinderte, stellten sich dann auf, hoben die Säbel und kreuzten die Klingen. Aber sie kamen nicht dazu, den ersten Durchgang zu beginnen. Eine Stimme aus der Baumgruppe sagte mit sarkastischem Unterton:
»Meine Herren, ich bin nur im Besitz von Heftpflaster. Seien Sie einsichtig und ritzen Sie sich nur an. Auf eine Mensurverletzung bin ich nicht eingerichtet.«
Die erhobenen, gekreuzten Säbel sanken herab. Dr. Wiggert und Prof. Heitzner fuhren herum. Aus der Baumgruppe hervor kam Dr. Linden, die Hände in den Taschen seines Paletots. Um seine Lippen lag ein spöttisch-überlegener Zug. Er nahm zuerst Dr. Wiggert, dann Prof. Heitzner die Waffe aus der Hand und klemmte sie unter seine Achsel.
»Zunächst möchte ich eines feststellen«, sagte er mit fast dozierender Stimme. »Es handelte sich nicht um Holzspiritus, sondern tatsächlich um reinen Alkohol. Das ist ein Skandal, meine Herren! Jemand aus unserem Kreis muß ihn eingeschmuggelt haben! Ich beobachte das schon seit Tagen.«
Über den Park, durch die eisige Luft tönte das dünne Bimmeln der alten Glocke vom Schloßtürmchen. Diakon Weigel war aufgewacht. Vom Bett aus konnte er an einer Strippe ziehen und so den Tag einläuten.
»Wir treffen uns nachher im Stall, meine Herren«, sagte Dr. Linden steif. »Nicht, daß ich Ihnen den heimlichen Alkoholgenuß mißgönne … aber wenn wir schon Kameraden im Leid sind, sollten wir auch Freunde der heimlichen Freuden sein. Ich halte es für wenig kameradschaftlich, mich dabei auszuschließen …«
Prof. Heitzner schluckte mehrmals. Er war sprachlos vor Empörung.
13
»Seit sieben Wochen trinke ich keinen Tropfen mehr!« sagte er gepreßt. »Darf ich um eine Aufklärung bitten?«
»Später!« Dr. Linden zeigte zum Haus. »Die anderen Herren klettern aus den Betten.« Er gab jedem der beiden Duellanten seine Waffe zurück und schlug die Hände dann gegeneinander. Ein eisiger Wind wehte über das Land. »Es wird Ihre Aufgabe sein, zunächst die Waffen wieder an den alten Platz zu hängen.«
»Woher wußten Sie, daß wir uns duellieren wollten?« fragte Dr. Wiggert. Er verbarg seinen Säbel unter dem Mantel. Auch Prof. Heitzner schlug seinen Paletot um die Waffe.
»Ich war die ganze Nacht wach, meine Herren! Ich bin jede Nacht wach!« Dr. Linden lächelte, und es war ein schmerzliches Lächeln. »Ich finde keinen Schlaf ohne Alkohol, meine Herren. Seit Jahren bin ich daran gewöhnt, abends vor dem Zubettgehen ein paar Gläschen zu trinken. Humorvoll sagte man:
Weitere Kostenlose Bücher