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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die nötige Bettschwere muß erreicht werden. Aber es war mehr – es war einfach notwendig, um die Nerven zu beruhigen. Aber wem erzähle ich das? Ich nehme nicht an, meine Herren, daß sie nur Trinker geworden sind, weil es so gut schmeckt …«
    Ohne Antwort stampften Dr. Wiggert und Prof. Heitzner zum Schloß zurück. Linden blieb im Park. Er ging um den zugefrorenen Teich herum, entdeckte zwischen den Birken eine Bank, schob den Schnee von der Sitzfläche, setzte sich und schlug den Mantel eng um sich.
    Seit der Begegnung mit Peter Kaul hatte er begonnen, wieder über sich nachzudenken. Er hatte sich alles aufgezählt, was er in seinem Leben bisher erreicht hatte, und es war eine lange Liste. Sie begann bei seiner Klinik und endete bei der ›Gräfin‹ Jutta. Dazwischen lag ein Leben, reich an Ehrungen und materiellen Werten, aber arm an seelischen Qualitäten. Der Zwiespalt seiner Natur wurde offenbar. Er hatte immer Theater gespielt, jeden Tag eine Rolle, mal als großer Chirurg, dann als Gesellschaftslöwe, ab und zu als liebender Ehemann, öfter als Geliebter jugendlicher Schwärmerinnen oder vernachlässigter Ehefrauen, erlebnishungriger Jagdherrinnen oder Reiterinnen. Jeder, der dem Dr. Linden gegenübertrat und ihn bewunderte oder beneidete, kannte nur einen kleinen Teil der Rollen, die er zu spielen ständig bereit war und von denen er nachts, wenn er allein in seinem Zimmer saß, sich erholte, indem er soff.
    Auch Brigitte, seine Frau, kannte ihn nicht, auch sie hatte nur einige seiner Darstellungen geheiratet: den erfolgreichen Arzt, den zärtlichen Ehepartner, den treusorgenden Vater seiner Tochter. Masken, die er stündlich wechselte, so wie sie gebraucht wurden, Kostüme, in die er schlüpfte, wenn man verlangte: Nun sei ein Genie! Nun sei ein Liebhaber! Nun sei ein Vater! Nun sei ein charmanter Plauderer!
    Was war nun geblieben? Ein schlaffer Mensch auf einer verschneiten, vereisten Bank in einem Schloßpark, der als Auslauf diente für betrunkene Mumien und zerfallene Gespenster, die sich noch umgaben mit Titeln und Würde, mit Ehrbegriffen und einstudierter Gesellschaftsmoral und doch zu morsch waren, um außerhalb des Schloßparkes von Bornfeld einige selbständige Schritte zu tun. Auch er? Gab es nur noch den Schatten Dr. Lindens?
    Er senkte den Kopf und tastete mit den Fingerspitzen über die Holzbohlen der Bank. Er spürte die Kälte des Eises in seinen Fingerspitzen, aber keine Erhebung, keine Unebenheit, keine plastische Veränderung der Fläche.
    Dr. Linden biß die Zähne zusammen. Dort ist ein kleiner Eisbuckel auf dem Sitz, dachte er. Und dort steht die Kuppe eines Nagels eine Winzigkeit aus dem Holz. Jeder tastende Finger muß das erfühlen. Es sind Grobheiten für die Hand eines Chirurgen.
    Ganz leicht, dann fester, schließlich mit großem Druck ließ er seine Hand über die Eisbuckel und den Nagelkopf gleiten.
    Nichts. Gar nichts! Nur die Kälte.
    Mit einem Ruck sprang Dr. Linden auf. Ich bin tot, durchfuhr es ihn. Natürlich, ich atme – was ist das aber? Ist Atmen das ganze Leben? Ist Blutkreislauf alles? Ich bin ein Mensch, der in den Fingerspitzen gestorben ist! Und ich werde eine gefühllose Hülle bleiben, solange ich keinen Alkohol mehr trinke. Trinke ich aber, werde ich zum Tier. O Gott – ist das kein Grund, sein Leben einfach wegzuwerfen?
    Durch den Park sah er eine Gestalt kommen. Es war der Brauereibesitzer Hoppnatz. Mit hektisch flackernden Augen und merkwürdig ruckartigen Bewegungen, als seien seine Gelenke eine Federmechanik, stapfte er durch den Schnee. Er war nicht im geringsten erstaunt, Dr. Linden in dieser kalten Einsamkeit zu treffen. Im Gegenteil, er tippte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand an den Hutrand und vergrub dann wieder die Hände in die Taschen des Mantels.
    »Ein schöner Tag, nicht wahr?« sagte er. Seine Stimme klang rauh und zitterte.
    »Wie man's nimmt.« Dr. Linden empfand keinerlei Lust, sich mit Hoppnatz zu unterhalten. Jetzt nicht, dachte er. Gerade jetzt nicht, wo ich mir im klaren bin, welch ein erbärmlicher Mensch in der Hülle meines Körpers sitzt. »Man wird Sie beim Frühstück vermissen, Herr Hoppnatz …«
    »Bis dahin hat es noch eine halbe Stunde Zeit.«
    »Sie geht schnell herum.«
    »Unser ganzes Leben geht schnell herum, finden Sie nicht auch?«
    »Nein!« antwortete Dr. Linden abweisend.
    »Ich werde Ihnen einen Gegenbeweis liefern.« Hoppnatz setzte sich auf die Bank und ließ die Beine baumeln. »Sehen Sie mich an!

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