Privatklinik
vor Dr. Linden, drehte sich dann um und ging zum Birkenwald. Linden sah ihm eine Weile nach, hob dann die Schultern und wandte sich ab. Er wird sich eine schöne Erkältung holen, dachte er, als er zurück zum Schloß stapfte. Entmündigt. Ob Brigitte mich auch entmündigen lassen würde? Nein! Sie könnte es nie tun. Sie wäre zu anständig dazu. Gute, dumme Gitte … du liebst noch immer eine meiner Rollen …
Brauereibesitzer Hoppnatz blieb im Birkenwald stehen und suchte sich einen Ast aus. Sinnigerweise überragte ein dicker Baumarm den Holzstapel, unter dem er sein heimliches Alkohollager verborgen hatte. Er kletterte auf den Stapel, holte aus der Manteltasche ein Seil, warf es über den Ast und knüpfte eine Schlinge.
Er entledigte sich des Mantels, öffnete den Kragen und zog die Krawatte herunter, legte die Schlinge um seinen dicken Hals und sah dann hinauf in den kalten, eisgrauen Himmel.
In diesem Augenblick überkam ihn aller Jammer dieser Erde. Er weinte laut, die Tränen rannen über seine schlaffen Wangen, zitternd stand er auf den runden Stämmen, die Schlinge um den Hals, und die letzten Minuten seines Lebens verbrachte er damit, zu weinen, nicht weil er starb, sondern weil er sterben sollte ohne einen Schluck Alkohol.
»Es ist eine Schande«, schluchzte er. »Es ist wirklich eine Schande. Wie kann man da noch leben …« Bei diesem Gedanken ließ er sich vornüber fallen.
Ein Ruck ging durch seinen Körper.
Irgendwo im Nacken knackte es.
Wie morsches Holz, dachte Brauereibesitzer Hoppnatz noch. Und nicht mal weh tut's! Immer wird man betrogen, überall, sogar im Tod …
Dann sah, hörte und dachte er nichts mehr.
Man fand Hoppnatz erst nach dem Mittagessen. Er war steifgefroren wie ein Brett. Als man ihn wegtrug zum Schloß, war es, als sei er in strammer Haltung gestorben, mit einer Ehrenbezeigung vor dem erlösenden Tod.
Frau Hoppnatz und die vier Kinder, die am nächsten Tag nach Schloß Bornfeld kamen, verzichteten darauf, ›Väterchen‹, wie Frau Hoppnatz den Toten unter Tränen nannte, noch einmal zu sehen.
Er wurde in einen Zinksarg gelegt, der wie eine tropenfeste Exportkiste aussah, und weggeschafft.
Prof. Heitzner, Dr. Wiggert und alle anderen Herren von Schloß Bornfeld kondolierten mit ergriffenen Mienen. Auch Dr. Linden. Er sagte zu der weinenden Witwe:
»Er tat es aus Liebe, gnädige Frau. Er wollte, daß sein Vermögen in Ihrer Hand bleibt …«
Frau Hoppnatz starrte Dr. Linden an und wandte sich dann abrupt ab.
Die ganze Trauerfeier hatte eine Stunde gedauert.
Was ist ein Mensch wert, wenn er trinkt …?
Drei Tage später kam unverhofft Brigitte Linden zu Besuch. Sie brachte eine frohe Nachricht mit. Oberarzt Dr. Krüger aus Lindens Klinik war Dozent geworden und hatte sich angeboten, die Klinik zu übernehmen. Schon jetzt kamen viele Patienten, um sich von Dr. Krüger operieren zu lassen. Er ist ein Schüler von Linden, hieß es überall. Das war Empfehlung genug. So konnten Ruhm und Leistung der Klinik erhalten bleiben, für immer verbunden mit dem Namen Lindens. Prof. Brosius, der auch diese neue Entwicklung verfolgte, versuchte einen Querschuß. Er gab dem Innenministerium seine Bedenken weiter, daß trotz Dr. Krüger nicht auszuschließen sei, daß auch Dr. Linden später wieder am OP-Tisch stehen konnte. »Man denke an Sauerbruch«, sagte Prof. Brosius mit warnender Stimme. »Auch ihm mußte man mit Gewalt das Messer aus der Hand nehmen. Und er war nur ein alter sklerotischer Mann und kein Alkoholiker!«
Diakon Weigel, seit dem Tod Hoppnatz' stiller und in sich gekehrter geworden, hatte schlimme Tage hinter sich und noch ärgere Wochen vor sich. Schloß Bornfeld war eine Stiftung, die unter kirchlicher Leitung stand. Daß jemand Selbstmord beging, war deshalb ungeheuerlich, zumal es das erstemal seit Bestehen der Entziehungsanstalt war. Eine Kommission hatte sich angesagt, die Kriminalpolizei war schon dagewesen, der zuständige Superintendent hatte den ›Tatort‹ besichtigt und immer wieder gerufen: »Bruder Weigel, wie ist so etwas möglich? Wie ist so etwas möglich?«, und die Landeskirchenleitung verlangte einen genauen Bericht, ob man psychologisch nicht alles getan hätte, Herrn Hoppnatz aus der seelischen Krise zu lösen. Vor allem aber fragte man an, ob es nicht ratsam sei, Schloß Bornfeld von einer ›Freien‹ Anstalt in eine ärztlich geleitete Klinik umzuwandeln.
»Ihr Gatte ist ausgeritten!« sagte Diakon Weigel, als er Brigitte Linden
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