Privatklinik
Hände gefaltet, und weinte laut wie ein Kind. Man einigte sich, daß Hoppnatz aus irgendeinem unbekannten Anlaß einen Nervenzusammenbruch bekommen habe.
Nur Dr. Linden kannte die Ursache. Er hatte das Versteck Hoppnatz' ausgeräumt. Mit einem Schrei war Hoppnatz am nächsten Tag zusammengebrochen, als er den Holzstapel leer fand. Wimmernd war er durch den Schnee gekrochen, auf Händen und Füßen, heulend wie ein angeschossener Wolf. Seine schöne Welt war zerstört worden.
Pfarrer Merckel hatte einen Brief erhalten. Von der Clinica Santa Barbara. Ein Bett war frei geworden. Gundula Kaul konnte aufgenommen werden.
Mit Pfarrer Merckel war in diesen Wochen eine deutliche Veränderung vorgegangen. Er trank jetzt nicht mehr heimlich. Zuerst hatte seine Haushälterin nicht begriffen. Eines Morgens, als sie das Arbeitszimmer putzen wollte und Pfarrer Merckel in der Kirche ein Jahrestotengebet las, war sie entsetzt zurückgeprallt. Auf dem Schreibtisch stand eine leere Flasche, und der schöne, heilige Betstuhl aus dem Kloster war dekoriert mit zwei italienischen Korbflaschen und einer Taschenflasche, im Volksmund ›Flachmann‹ genannt.
Wie soll eine einfältige Seele begreifen, daß Himmel und Hölle eng beieinander wohnen? Er muß Besuch gehabt haben, dachte die Haushälterin. Sie hatte zwar nichts gehört, aber es kam öfter vor, daß sie Stimmen im Arbeitszimmer hörte und keinen hereinkommen oder hinausgehen sah. Daß Pfarrer Merckel mit sich selbst sprach oder vor dem Kruzifix stand und Gott seine Anklage vortrug – »Herr, ich klage den Hans Merckel an! Er ist ein haltloser Mensch, weil er zu schwach ist, einer haltlosen Welt Haltung zu predigen, ohne dabei betrunken zu sein …« – daß der Herr von St. Christophorus dann auf dem Betstuhl kniete und betete und trank, konnte niemand ahnen. Die Haushälterin riß also das Fenster auf, ließ den Alkoholdunst durch frische Luft wegblasen, holte einen Korb herbei, legte die leeren Flaschen hinein und saugte den Teppich.
So traf Merckel sie an und zog den Stecker aus der Wand. Der Staubsauger verröchelte.
»Die Flaschen laß hier!« sagte Merckel und zeigte auf den Korb. »Dort in die Ecke mit ihnen. Ich brauche sie für statistische Zwecke. Es ist wertvoll, zu wissen, wieviel Liter Alkohol eine Schrumpfleber noch verträgt, ehe sie endgültig kapituliert.«
»Sie … Sie haben das alles getrunken, Herr Pfarrer?«
Die Haushälterin setzte sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch und schlug die Hände zusammen. Merckel nickte grimmig. »Wollen Sie einen Schluck zur Aufmunterung?«
»Herr Pfarrer …«
»Ich trinke seit siebzehn Jahren! Oh, welches Erstaunen! Und ich lebe noch! Ich habe eine Bärenleber und ein Mammutherz! Nun sitzen Sie nicht 'rum und bieten Sie Entsetzen feil – putzen Sie weiter und stören Sie sich nicht daran, daß ich ein Morgenschöppchen halte.«
Mit wuchtigen Schritten ging er zu der alten Truhe, seinem bisherigen Versteck für Flaschen aller Art, holte eine volle Flasche zwischen den Papieren hervor, hob sie gegen das Licht, entkorkte sie und nickte der noch immer starr auf dem Stuhl sitzenden Haushälterin zu.
»Haben Sie gehört? Flupp! So ähnlich klingt es, wenn der Teufel die Seele aus dem Herzen holt!«
Mit fliegender Schürze verließ die Haushälterin das pfarrherrliche Arbeitszimmer, schloß sich in der Küche ein und weinte. Später, beim Einkaufen, erzählte sie mit leidender Miene, daß der Herr Pfarrer sehr krank sei. Eine innere Sache. Eine Infektion. Er werde immer schwindlig. Auch auf der Kanzel. Man muß vorbeugen, dachte sie. O Gott, man muß lügen, um ihn zu schützen. Eines Sonntags wird es so weit sein, daß er betrunken vor dem Altar steht. Dann werden sie alle sagen: Er ist ja krank, unser armer Pfarrer.
Von diesem Tage an verbarg Merckel seinen Niedergang nicht mehr. Er hatte sein Todesurteil in der Tasche. Die Zeit war bemessen, bis er vor Gott stehen würde, um Rechenschaft zu geben. Und er würde sagen: »Vater im Himmel, ich trank, weil ich ein Gewissen hatte. Ich sollte von dir reden und sah, wie die Menschen dabei lächelten. Ich sprach von Liebe und Vergebung, und um mich herum schlugen sie sich tot. Mein Gott, ich trank wirklich nur, weil ich ein Gewissen hatte!«
Susanne und Peter Kaul lebten seit Kauls Entlassung aus der Heilanstalt wie in den ersten Ehetagen. Das Glück war ungetrübt. Oft lag Kaul abends mit dem Ohr auf Susannes Leib und lauschte auf die Regungen des Kindes. Dann
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