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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zum endgültigen Schicksal der Familie Kaul geworden wäre. Sie sahen ihren Papi im Bett, apathisch und stumm an die Decke starrend und glaubten an die schwere Grippe. Sie kannten es von sich – die Glieder taten weh, man hatte einen heißen Kopf, und alles ärgerte einen, ja, man war sich selbst lästig.
    Im Haus Kaul spielte sich das gleiche ab wie auf Schloß Bornfeld: Nicht eine Stunde lang ließ Susanne ihren Mann allein und ohne Aufsicht. Sie verlegte alle Arbeit ins Schlafzimmer, schälte dort Kartoffeln, putzte das Gemüse, stopfte und nähte und bügelte die Wäsche. Peter Kaul war das alles gleichgültig. Er sah immer noch, wie Lucie strauchelte, mit dem Tapetentisch umfiel, in den Kleister und die Tapetenbahnen rollte und dann liegenblieb wie eine umgefallene Puppe. Und das Blut rann ihr aus der Nase.
    Die Flasche Rum, die er ganz ausgetrunken hatte, war der letzte Riegel gewesen, den er zwischen sich und den Alkohol geschoben hatte. Das sah er ein, und er war froh darum. Die beiden Tage nach der neuen Trunkenheit waren die Hölle gewesen. »Ich kotze mir die Leber, die Lunge und die Galle aus!« hatte er gestöhnt, als nichts mehr aus dem Magen herauskam als gelber Schleim und faulige Luft. »O Susanne … es ist furchtbar … furchtbar …«
    Judo-Fritze half ihm mit Medikamenten aus der Anstaltsapotheke, mit Magenberuhigungsmitteln, mit Opiaten. Sie warfen Peter Kaul völlig um und zwangen ihn, im Bett zu liegen.
    An einem dieser Tage kam Pfarrer Merckel zu Besuch.
    »Ich habe eine Karte aus der Clinica Santa Barbara!« sagte er und schwenkte einen Buntdruck von Ascona. »Dr. Hütli hat sie geschrieben. Sie erinnern sich … der lustige Doktor.«
    »Ja«, antwortete Kaul schwach. »Ja. Ja.«
    Merckel setzte sich. Seine Bärengestalt war geblieben, sie sah aus, als sprenge sie Rock, Hose und römischen Kragen. Auch seine Stimme war tief und orgeldröhnend wie immer. Nur das Gesicht war klein geworden, auffallend schmal und faltig, wie das Gesicht eines runzligen Äffchens, gelblich die Haut, von innerer Starrheit wie Leder.
    »Er schreibt«, sagte Pfarrer Merckel, »daß Gundula zum Liebling der Station geworden ist. Man hat sie einer Spezialbehandlung unterzogen, und – nun nehmen Sie Haltung an, Kaul, vor der Wissenschaft! – Gundula kann jetzt schon für einige Minuten frei stehen! Sie hat gelernt, wozu ihre Beine da sind.«
    »Das ist schön«, sagte Kaul gleichgültig. »Nur immer weiter so. In zehn Jahren läuft sie Jugendrekord über hundert Meter!«
    Pfarrer Merckel stand auf und ging hinaus. »Was hat er?« fragte er im Flur Susanne, und als sie statt einer Antwort sich abwandte und weinte, fragte Pfarrer Merckel: »Hat er wieder gesoffen? Ehrlich, Susanne! Belügen Sie Ihren alten Pfarrer nicht!«
    In knappen Worten erzählte sie von Lucie Kellermann. Pfarrer Merckel hörte ohne Unterbrechung zu.
    »Es sollte die letzte Versuchung sein«, sagte er dann und streichelte Susanne über das blonde, gewellte Haar. »Unsere Prüfungen auf Erden sind hart. Ich glaube – ich habe es so im Gefühl –, daß Ihr Mann nie mehr trinken wird.«
    »Wenn Worte Wahrheit werden, Herr Pfarrer …«
    »Bei Peter Kaul werden sie es … bei anderen ist es zu spät.« Pfarrer Merckel hob die Nase und schnupperte. »Sie backen?«
    »Ja. Eine Torte. Schwarzwälder Kirsch. Petra hat morgen Geburtstag.«
    »In Schwarzwälder Kirsch gehört ein Schuß Kirschwasser«, sagte Pfarrer Merckel fast fröhlich.
    »Ja. Ich habe eine kleine Flasche hier. Peter weiß nichts davon … und wenn der Kuchen gebacken ist, geht der Alkohol in der Sahne unter. Und außerdem mag Peter keine Sahnetorte. Er ißt doch nichts davon.«
    Pfarrer Merckel nickte. »Ein weiser Entschluß.« Mit drei langen Schritten war er an der Küchentür, stieß sie auf und sah auf dem Küchentisch die kleine Flasche Kirsch stehen. Seine trüb gewordenen Augen leuchteten auf. »Geben Sie mir ein Gläschen Kirsch, meine Tochter?« fragte er würdevoll.
    »Aber ja, Herr Pfarrer. Ein kleines oder ein großes?«
    »Ein großes, meine Tochter! Sehe ich aus wie ein Fingerhutschlecker?«
    Susanne goß ihm ein kleines Wasserglas halb voll, was Merckel ungern sah, denn ein volles Glas wäre ihm lieber gewesen. Dann gab sie es ihm, und der Pfarrer von St. Christophorus setzte es an die dicken Lippen, öffnete den Mund und kippte den Brand hinein. Er setzte das Glas ab, holte einen Stuhl heran, wuchtete sich darauf, faltete die Hände über dem Bauch, las liebevoll

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