Privatklinik
noch leeren Käfige im Nebenkeller, auf die große Kühltruhe, auf die Wannen mit Formalinlösung.
»Was soll das, Herr Diakon?« fragte er wie abweisend.
Diakon Weigel machte eine alles umfassende Handbewegung. »Es soll Ihr Reich werden, Doktor Linden.«
»Wozu?«
»Muß ich Ihnen das sagen? Sie sollen üben.«
»Ich soll Körper zerschnippeln? Wie andere oben in der Halle Mensch-ärgere-dich-nicht spielen, soll es meine Freizeitbeschäftigung werden, einen Meerschweinchenbauch aufzuschneiden …«
»Sie sollen so lange üben, bis Ihr Fingerspitzengefühl wiederkommt.«
Dr. Linden lächelte mokant. »Lieber Diakon, ich bin Neurochirurg. Ich weiß, was in meinem Kopf los ist. Eine Kuh hat eine breite Stirn, aber sie wird trotzdem nie jonglieren lernen.«
»Haben Sie denn schon einmal intensiv geübt?«
»Nein! Wozu? Ich hatte mein Gläschen … und dann ging es wie bei einer Lochkartenmaschine. Oben hinein, ein Rütteln in der Mechanik, und alles verlief programmgemäß.«
Diakon Weigel klopfte gegen die Marmorplatte des Seziertisches. »Ihre Impulse werden in Zukunft wieder ohne Ihre Gläschen kommen. Es mag dumm klingen wie in einem Groschenroman: Aber sie haben ›Oberon‹ bezwungen … nun bezwingen Sie sich selbst …!«
Dr. Linden schwieg. Er ging zu den Instrumentenschränken, nahm eine Knochenschere heraus, einen scharfen Löffel, das Amputationsmesser, eine Cooperschere, eine Kocherklemme, die Rippenschere, die Krallenzange, den Collinschen Bauchdeckelhalter. Säuberlich nebeneinander legte er alles auf ein steriles Tuch, trat dann einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es sieht geheimnisvoll und genial aus, nicht wahr, Diakon? Blitzende, verchromte Instrumente. Ein Lyriker würde sagen: In ihnen liegt der himmlische Glanz geretteten Lebens. Der Laie schaudert bei diesem Anblick wie früher der Delinquent vor den Spanischen Stiefeln der Folterkammer. Bitte, Diakon – unterlassen Sie es, jetzt zu singen: Fanget an!«
Dr. Linden wandte sich ab. »Ich habe eben die Kornzange berührt. Nicht einmal die große Querriffelung an ihrer Greiffläche habe ich ertastet. Ich bin eine chirurgische Null!«
»Heute noch! In drei oder vier oder sechs Wochen nicht mehr.« Diakon Weigel umfaßte wieder mit einer weiten Handbewegung den Kellerraum. »Üben Sie!«
»Sie könnten auch sagen: Morden Sie!«
»Sie werden keine lebenden Objekte bekommen. Noch nicht!«
»Gut denn!« Dr. Linden lachte bitter. »Dann legen Sie mir eine tote Ratte auf den Tisch. Ich werde sie enthaupten!«
»Nebenan im Tierkeller liegt ein Hund. Er wurde gestern überfahren.« Diakon Weigel wandte sich ab und ging zur Tür. Bevor er sie öffnete, wandte er sich noch einmal um. Dr. Linden lehnte unbeweglich an der Marmorplatte des Seziertisches. »Ich möchte gerne wissen, woran das arme Tier gestorben ist. Es wurde nicht im landläufigen Sinn ›überfahren‹, sondern lief gegen das Auto, wurde weggeschleudert und blieb tot liegen. Gibt es bei Hunden auch so etwas wie einen Schocktod? Es wäre interessant, das einmal zu untersuchen …«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Diakon Weigel das Kellergewölbe. Dr. Linden sah auf die zuschlagende Tür und legte die flache Hand über die ausgebreiteten Instrumente. Plötzlich schloß er die Augen und begann, die blinkenden Metallteile abzutasten.
Was ist das? fragte er sich. Ist es die Kocherklemme oder die Kornzange? Ist es die Cooperschere oder die Rippenschere? Welches von allen Instrumenten ist die Krallenzange?
Er tastete und ließ die Finger über die Instrumente gleiten. Immer und immer wieder. Dann faßte er zu.
»Cooperschere!« sagte er laut.
Es war eine Halstedtsche Moskitoklemme.
»Noch einmal!« sagte Dr. Linden. Seine Stimme wurde von dem Kreuzgewölbe zurückgeworfen wie dumpfe Schreie. »Rom entstand auch nicht an einem Tag!«
Augen zu. Getastet. Glattes Metall. Kalt, feindlich.
»Harte Magenklemme!« sagte Dr. Linden.
Augen auf. Irrtum. Es war die Appendixquetsche.
Beim neunten Versuch riet er richtig. Er entdeckte unter seinen Fingern den Bauchdeckenhaken. Glücklich, wie ein beschenktes Kind, hielt er ihn hoch. »Ich könnte dich küssen.« Seine Stimme zitterte dabei. »Auch wenn ich dich nur geraten habe …«
Eine halbe Stunde darauf lag der tote Hund, ein schwarz-weißer Terrier, auf der Marmorplatte. Mit zusammengepreßten Lippen eröffnete Linden die Bauch- und Brusthöhle des Tieres. Die groben Schnitte gelangen ihm noch
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