Privatklinik
oben alles wieder trifft.
Ach ja! So geht ein Mensch dahin …
Als Peter Kaul aus der Haustür trat, lag eisiges, entsetztes Schweigen auf den Gesichtern der Umstehenden. Er sah sich um. Die Mienen an den Bordsteinen und an den Fenstern waren feindlich. Sie schrien nach Mord. Du bist es also nicht? brüllten ihn stumm die Augen an. Du liegst nicht auf der Bahre als vollgesoffener Schlauch? Wer ist es dann? Ein Saufkumpan?
Kaul stieg vorn zu den Fahrern in den Wagen, der Arzt blieb hinten neben der Bahre sitzen. Dann zuckte das Blaulicht auf dem Dach auf, die Sirene heulte, der Wagen machte einen Satz wie ein hungriges Raubtier und schoß davon. Susanne Kaul blieb allein in der Haustür zurück und sah dem gelben Wagen mit dem roten Kreuz nach, bis er um die Straßenecke heulte.
»Wer war denn das?« fragte Frau Siegfried. Sie war als erste bei Susanne und wurde von den anderen Frauen beneidet.
»Unser Pfarrer …«, sagte Susanne Kaul leise. »Pfarrer Merckel. Es ist sehr schlimm mit ihm …«
»Der Pfarrer …«, wiederholte Frau Siegfried laut. Es war ein Ruf, der sich fortpflanzte, von Geschäft zu Geschäft, von Haus zu Haus.
»Es trifft immer die Falschen«, sagte Frau Wilhelmine Kappuska im Gemüseladen und befühlte die Wirsingköpfe auf Dichte und Frische. »Der gute Herr Pfarrer hat sich sicherlich bei dem Kaul so aufgeregt, daß er einen Schlag bekommen hat. Oder der Kaul – huch, das fällt mir jetzt erst ein – hat ihn vielleicht sogar niedergeschlagen! Alles traue ich dem zu! Mein erster Mann war genauso. Wenn er besoffen nach Hause kam, zog er den Leibriemen aus der Hose und drosch auf uns los. Abendgymnastik nannte er das! Es ist ein Skandal mit diesem Kaul!«
Für die letzte Sensation sorgte Fuhrunternehmer Babbetz. Von seinem Apparat aus hatte der Arzt schnell mit der Klinik telefoniert, und Babbetz hatte hinter der Tür gehorcht. Wer macht das nicht in solchen Fällen? Und er hatte gehört, wie der Arzt sagte: »Lassen Sie alles zur Operation vorbereiten und verständigen Sie den Herrn Oberarzt, Schwester. Pfarrer Merckel hat eine Ösophagusvarizenblutung bekommen. Sieht böse aus. Danke.«
Fuhrunternehmer Babbetz gab dieses Gespräch kund. Den Begriff Osophagusvarizenblutung hatte er natürlich nicht behalten. Er sagte allen: »Der Herr Pfarrer hat eine Zitzenblutung bekommen!«
Man staunte darüber, stellte sich einiges bildlich vor und verharrte in Verblüffung. Der Herr Pfarrer! Und so eine seltene Krankheit. Ausgerechnet bei einem geistlichen Herrn!
Am Ende glaubte man es nicht mehr. Im Gegenteil, man nannte den Fuhrunternehmer Babbetz ein Schwein und ging ihm einen Tag lang aus dem Weg. Er begriff nicht, warum. Es ist so vieles im Leben nicht begreiflich.
Die Bauern in der Umgebung von Schloß Bornfeld kamen wieder zusammen. Sie fühlten sich geschädigt. Man brauchte keine Kadaver mehr, von heute auf morgen. Schluß, hatte der Diakon Weigel verkündet. Vergrabt eure toten Viecher wieder oder liefert sie dem Abdecker ab. Wir haben genug.
Grund der Aufregung war der Fehlschlag einer bäuerlichen Geschäftstüchtigkeit. Nach dem ersten kritischen Abwarten war man dazu übergegangen, tote Haustiere zu sammeln. Da im Dorf nicht genügend Hunde und Schweine starben, strich man die nähere und weitere Umgebung ab, kaufte für eine Mark Hundekadaver und bekam zehn Mark von dem Diakon dafür, ein reelles Geschäft, das ohne Risiko blühte. Um sich nicht Konkurrenz zu machen, hatte man anhand einer großen Gebietskarte sogar generalstabsmäßig die umliegenden Dörfer und Kleinstädte verteilt und jedem Bauern ein Gebiet zugewiesen, das er nach toten Haustieren abgrasen konnte. Nur war es so, daß nach der letzten Sammelaktion in den Scheunen die Tierkörper lagen und der Abnehmer die Tür dichtmachte.
»Das geht nicht!« sagte der Heidebauer Pönges und hieb auf den Wirtshaustisch. »Wir können verlangen, daß unser Fleiß bezahlt wird! Ob sie die Viecher brauchen können oder nicht – zumindest das Vergraben müssen sie bezahlen.«
Am Ende riet der Tierarzt ab. Er sprach von mangelnder rechtlicher Grundlage und von der Ohrfeige, die man für alle Geldgier bekommen hätte. Die Bauern zogen saure Gesichter und kehrten in ihre Katen zurück. Die Geldquelle war ausgetrocknet. Für zehn Mark in bar mußte jetzt wieder hart gearbeitet werden.
Im Keller schloß Dr. Linden seine erste Operation an einem lebenden Körper ab. Diakon Weigel und Brigitte standen neben ihm, als er einem Hund,
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