Privatklinik
Konrad …«, sagte Brigitte leise und faßte seine Hände. Sie zog ihn vom Schemel hoch, zwang seinen Arm, sich bei ihr einzuhaken und führte ihn aus dem Keller. Diakon Weigel folgte ihnen stumm und bog dann in der Eingangshalle ab zu seinem Zimmer. Die Flasche mit dem Schnaps schloß er in einen dickwandigen Tresor ein, den er durch drei Kombinationsschlösser sicherte.
In ihrem Zimmer zog sich Brigitte wortlos aus und legte sich auf das Bett. Linden starrte sie an, Schweiß sammelte sich in den Falten seiner Stirn, er schluckte und nagte nervös an der Unterlippe.
»Komm …«, sagte Brigitte leise. »Komm doch …«
»Du bist so schön wie immer«, sagte er dumpf. »Aber ich bin ein Wrack.«
»Du bist groß und stark. Du hat es nur vergessen. Erinnere dich … komm zu mir …«
Er ging langsam auf das Bett zu und setzte sich.
»Willst du auch, daß ich wieder nach Hause komme?« fragte er.
»Ja.«
»Ich brauche viel Geduld und Liebe, Gitte.«
»Ich habe beides in mir.«
»Ich werde unerträglich sein.«
»Es gibt nichts an dir, was ich nicht ertragen könnte.«
Er nickte. »Es ist gut«, sagte er rauh. »Fahren wir nach Hause. Vielleicht soll es so sein …«
»Was soll so sein?«
»Man ist in diese Welt gesetzt und muß sie durchleben. Was wird in ein paar Tagen passieren? Sie werden zu mir kommen und mir Blumen bringen, mich beglückwünschen und anstarren wie ein gezähmtes Raubtier. Und ich werde lächeln und jovial tun, geistvoll und jugendfrisch. Ich werde galant sein und überlegen spöttisch, und selbst Professor Brosius wird kommen, um zu sehen, ob der Doktor Linden wirklich wieder da ist und praktizieren kann. Mein Januskopf wird lachen und plaudern, wird strahlen und genial sein … aber die andere Seite ist müde, Gitte, unendlich müde und haßt den glänzenden Doktor Linden.«
Zwei Tage später wurde Dr. Linden aus dem Schloß Bornfeld entlassen. Die zurückbleibenden Insassen verfielen in ehrliche Trauer, vor allem Prof. Dr. Heitzner, der in Linden seinen Intimus gefunden hatte. Schloß Bornfeld versank wieder in einen Dornröschenschlaf. Die Gäste arbeiteten weiter im Stall und in den Wäldern, saßen abends in der Jagdhalle und spielten Skat oder Mensch-ärgere-dich-nicht oder hörten sich Vorträge an wie ›Der Maisanbau bei den Azteken‹. Der Tenor sang ab und zu, Dr. von Hammerfels erhielt seinen monatlichen Brief: ›Uns geht es gut‹ und spülte ihn in den Lokus, Diakon Weigel läutete morgens seine Glocke vom Bett aus und betete vor dem Frühstück. »Herr, mein Gott, hebe deine Augen auf uns, damit wir wohlgefällig leben in deinem Sinne …«
In der Zeitung stand eines Tages eine Notiz.
»Der bekannte Neurochirurg Dr. K. Linden hat eine Einladung nach Amerika bekommen. Er wird in der berühmten Mayoklinik in Rochester einige seiner aufsehenerregenden Operationen demonstrieren.«
»Nächstes Jahr ist er wieder bei uns«, sagte Dr. von Hammerfels überzeugt. »Amerika, Whisky und Gin, schöne Frauen und freie Sitten … meine Herren, wir leben in einem grandiosen Kreislauf. Bemerken Sie ihn jetzt auch?«
Mit den Teetassen stießen sie an auf das baldige Wiedersehen.
Die Rückkehr Dr. Lindens an seinen Platz als Chef seiner Privatklinik erzeugte bei Prof. Dr. Brosius eine bemerkenswerte kollegiale Aktivität.
Zunächst rief er beim Gesundheitsamt an, ob es zulässig sei, daß ein Trinker weiterhin praktizieren dürfe. Als man das mit dem Hinweis einer Heilung bejahte, sagte Brosius einen verfänglichen Satz: »Ich habe noch keinen hundertprozentigen geheilten Trinker gesehen und bin jetzt dreißig Jahre Chef der Landesheilanstalt!« Dann feuerte er den Hörer zurück auf die Gabel und sann darüber nach, wie man die so elegant entfernte Konkurrenz zum zweitenmal ausschalten könnte.
Prof. Brosius, verhinderter Kavallerist und mit Leib und Seele Akademiker, warf ein paar Knüppelchen zwischen die Beine Dr. Lindens. Bei Ärzten ist das einfach und einleuchtend: Man verwirft die Diagnose des Kollegen und wartet mit einer eigenen Diagnose auf. Sie muß völlig anders sein und ebenso unbeweisbar wie die des Kollegen. Die Psychiatrie bietet dafür viele Möglichkeiten, denn auf keinem Sektor der Medizin ist man bis heute so unsicher und sich uneins wie auf dem Gebiet des Gehirns.
Prof. Brosius wartete ab, bis Dr. Linden wieder ein Gutachten abgab. Das geschah schon drei Tage nach seiner Rückkehr. Brosius jubelte, empfing den Patienten wie einen Weihnachtsmann und
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