Privatklinik
andere noch hinzu. Visite, Schwester, Medikamente, Benutzung der Untersuchungsräume, Röntgen, EKG, Enzephalogramm, Liquoruntersuchung, Labor, Arteriogramm. Das kann auf 100 Mark am Tag kommen. Privatstation. Gnädige Frau und lieber Herr Kaul … aber bei Judo-Fritze hieß es: »Mach keinen Quatsch, Peter … sonst knallt's!«
Peter Kaul lehnte sich gegen die Tür. Es war ihm, als brenne die Körperwärme Judo-Fritzes durch das Holz. Und es war sogar, als röche er Weihrauch. Der Gedanke, daß Pfarrer Merckel ebenfalls draußen stand, regte seine Geruchsnerven an. Weihrauch und Schnaps … merkwürdig, daß noch niemand in der Kirche diesen Geruch analysiert hatte.
»Ich komme nicht!« sagte Peter Kaul plötzlich. Er erschrak vor seiner eigenen Stimme. Sie war hohl und doch laut, sie explodierte gegen die Tür und schlug an das Trommelfell des Irrenpflegers.
»Mach doch keine Schwierigkeiten, Peter.« Väterchen Judo-Fritze sprach. »Du bist doch nur zur Beobachtung. Gesetz ist nun mal Gesetz, es muß alles seinen normalen Weg gehen, auch in der Klapsmühle. Komm raus, Peter.« Und dann machte der gütige Vater Fritz einen groben Fehler. Er sagte, zwar auch freundlich, aber ebenso klar: »Die Polizisten sollen doch nicht etwa die Tür aufbrechen, Peter …?«
»Das können sie!« Peter Kaul hieb mit der Faust gegen die Füllung. »Tut es doch!« schrie er plötzlich. »Tretet sie doch ein! Holt mich doch, ihr Halunken! Ich werde hier alles verrammeln! Ihr kommt nicht in die Wohnung! Und wenn ihr denkt, ihr könnt es mit mir so machen wie sonst, so mit Tränengas, Feuerwehrleitern, Handgranaten gegen die Tür … ich bringe mich um! Hört ihr! Ich bringe mich um! Und meine Frau mit! Und die Kinder. Alle … Petra – Heinz – Gundula! Fünf sind wir. Fünf! Besorgt fünf Särge, bevor ihr hereinkommt!«
Vor der Tür war es plötzlich still. Auch in der Wohnung lag lähmende Lautlosigkeit. Und in diese Stille hinein sagte Susanne ganz klar und ohne Erregung:
»Ja, so wird es! Wir gehen alle mit unserem Papi!«
Jetzt kommt der Pfarrer, dachte Peter Kaul. Er nickte Susanne zu, und dieses Nicken hieß: Dank. Ewiger Dank. Man kann die Welt einreißen … unsere Liebe stirbt nur mit uns. Er zog die beiden Kinder wieder an sich und stand hochaufgerichtet vor der Tür. Ich bin der Sieger! Ich bin der Stärkere! (Da er das als Deutscher dachte, muß man annehmen, daß der Alkohol doch schon sein Gehirn angegriffen hatte.)
Eine neue Stimme. Dunkel, mächtig, redegewandt. Pfarrer Merckel. Also doch, dachte Peter Kaul. Nun werde ich Gottes Willen hören. Gottes Mahnung, aufzuschließen und mitzugehen in die Hölle menschlicher Versumpfung.
»Ich verspreche Ihnen, Herr Kaul, daß man Sie nach einer genauen Untersuchung wieder freiläßt«, sagte Pfarrer Merckel. »Ich verwende mich dafür, daß man Ihnen nichts antut. Ich habe mit Professor Brosius gesprochen. Auch er tut nur seine Pflicht. Denken Sie daran, was aus Ihrer Familie wird, wenn Sie weiterhin Schwierigkeiten machen.«
»Wenn ihr mich holt, gibt es keine Familie mehr!« schrie Peter Kaul. »Ruhe! Ich will nichts mehr hören! Ruhe!« Er hieb wieder gegen die Tür, als könne er damit die wartenden Gesichter wegfegen. Zwei Polizisten, zwei Irrenwärter, einen Oberarzt und einen Pfarrer. Eine runde, wohl ausgewogene Gemeinschaft.
Im Treppenhaus wieder wispernde Stimmen. Der Baß des Pfarrers, unverständliche Worte. Die väterliche Stimme Judo-Fritzes. Man schien nicht einer Meinung zu sein, Baß gegen Baß, einmal das akademisch hohe Organ des Oberarztes, zwei zackige Bemerkungen, das war die Polizei, dann wieder der Pfarrer. Und dann, Peter Kaul legte das Ohr an die Tür, Schritte, die sich entfernten, die nach unten gingen, die sich im Haus verloren. Von unten eine Frauenstimme, Frau Plotzke. Gierig und flatternd vor Neugier. Geil nach Neuheit. Im Tremolo vor angestauter Wissensperversität. Daß sie nichts erfuhr, war noch schlimmer als eine korrekte Auskunft. Jetzt spielte die Phantasie auf allen Tasten. Sie seufzte und setzte sich zitternd ans Fenster. Ein vergitterter Wagen, zwei Männer im weißen Kittel, zwei Uniformen. O Gott, o Gott, was in diesem Haus alles geschieht! Wie aufregend ist das Leben … Peter Kaul rannte ins Schlafzimmer. Er schlidderte fast und wäre gefallen, wenn der große Kleiderschrank ihn nicht aufgefangen hätte. Er stieß mit der Schulter daran, er grunzte und stürzte ans Fenster.
Auf der Straße stiegen sie ein …
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