Privatklinik
Judo-Fritze und der andere Pfleger, die beiden Polizisten, der Oberarzt. Und sie fuhren ab. Beide Wagen.
Nur der Pfarrer Merckel war im Haus geblieben.
Er steht noch vor der Tür, dachte Kaul grimmig. Saufkumpan Merckel wartet.
»Das ist eine Falle, Susi«, sagte er und ließ die Gardine zurückfallen. Er legte den Kopf auf die Schulter seiner Frau und seufzte ein paarmal tief. »Sie wollen mich nur in Sicherheit wiegen. Sie fahren um die nächste Ecke und warten da. Oder sie kommen mit Verstärkung, sie wollen die Festung ausräuchern. Daß ich euch so was antun muß! Daß ich solch ein erbärmlicher Hund bin! Sag … sag es ehrlich … bin ich denn überhaupt noch wert, zu leben?«
»Du bist mein Mann, Peter«, sagte Susanne Kaul ohne Bewegung. »Du bist der Vater unserer Kinder … wir leben durch dich … Ist das nicht genug?«
»Du bist wie ein Engel«, sagte er leise. Er richtete sich auf, trat wieder an das Fenster, sah, wie einige Nachbarn in den Türen zusammenstanden, wie sie hinaufblickten zur Kaulschen Wohnung, wie sie die Köpfe zusammensteckten. Pack, dachte er. Schadenfreudiges Pack. Es wäre euch eine Wonne gewesen, mich abgeholt zu sehen. Im Arm von Judo-Fritze, wie eine nasse Katze, halb getragen, halb geschleift, mit zerrissenen Kleidern, in meinem lächerlichen, gestreiften Schlafanzug mit dem Monogramm LHA auf der Brust, ein Festzug außer der Zeit: vorweg der Oberarzt, dann die nasse Katze von Kaul, Hosenboden zerrissen, nackter Hintern zu den Nachbarn, rechts und links die weißen Kittel und dann der Pfarrer und am Schluß die Polizisten. Na, ist das nicht ein schöner Zug? Schöner als Schützenfest und Karneval, als Kirmes und Fronleichnam!
»Wenn du sagst, ich soll gehen, Susi – dann gehe ich!« sagte er leise. »Ich schwöre es dir … ich gehe freiwillig. Aber du mußt sagen: Geh, Peter!«
»Nein.« Sie schrie es fast, und Heinz und Petra kamen ins Schlafzimmer. In der Küche begann Gundula zu weinen. Sie hatte Hunger und vermißte die gewohnten bunten Bauklötzchen.
Peter Kaul lauschte. Das Jammern Gundulas schnitt ihm ins Herz. Der lebende Beweis seiner Unzulänglichkeit. Ein Kind, dessen Beine nur Körperform waren, dessen Kopf ein Hirn enthielt, das tot war.
»Ich gehe«, sagte er dumpf. »Seid ihr nicht glücklicher ohne mich?«
»Wie kannst du das sagen, Peter?« Susanne und die Kinder umringten ihn.
»Ihr lügt alle!« Er bückte sich, nahm seinen Sohn Heinz am Kragen des Pullovers und zog ihn zu sich heran. »Du hast Angst vor mir, nicht wahr? Sag die Wahrheit … du hast Angst?«
Heinz preßte die Lippen aufeinander. »Manchmal«, sagte er ängstlich.
»Und du, Petra?« Kaul drehte sich herum. »Du auch?«
»Ja, Papi …«
»Wie könnt ihr das sagen?« schrie Susanne. »Keiner hat Angst vor dir, Peter! Keiner! Die Kinder sind nur eingeschüchtert … heute nacht … und vorhin das … Es sind ja nur Kinder, Peter …«
»Der Herr Pfarrer hat gesagt, wir dürfen nicht lügen!« sagte Heinz fest.
»Und ich will auch nie lügen!« fügte Petra hinzu.
»Brav, Kinder brav! Der Herr Pfarrer ist ein guter Mann. Ein weiser Mann!« Peter Kaul ging aus dem Schlafzimmer. Susanne rannte ihm nach und fing ihn ab, als er an der Wohnungstür stand und sie aufriegeln wollte.
»Nicht Peter!« schrie sie verzweifelt. »Nein!«
»Der Pfarrer ist ein guter Mann!« Peter Kaul lächelte breit. Er befreite sich von Susanne, schloß die Tür auf und ließ sie aufschwingen. »Seht, wer dort steht. Im Dunkeln auf der Treppe. Wie der Erzengel vor dem Paradies. Der Herr Pfarrer.« Er machte einen tiefen Diener und eine weite, einladende Handbewegung. »Bitte einzutreten, Herr Pfarrer. Bitte zu den zerrütteten Seelen zu kommen. Sie finden uns bereit, Gottes Rat anzunehmen.«
Merckel ging in die Wohnung, gab der Tür einen Tritt und ließ sie zuschlagen. Die Kinder drückten sich an die Flurwand. Ihre weitaufgerissenen Augen nahmen ein seltsames Bild auf: Ihr Vater klopfte dem Herrn Pfarrer auf die Schulter und sagte: »Haben Sie einen Flachmann in der Tasche?« Dann lachte er rauh, ging voraus ins Wohnzimmer, knipste das Licht an, denn es war ja noch dämmrig draußen, warf sich in einen Sessel und legte die Beine übereinander. Der Pfarrer setzte sich ihm gegenüber, und Susanne blieb stehen, neben der Blumenbank mit den Primeln, den Fleißigen Lieschen und den Zyklamenveilchen.
»Müssen die Kinder alles hören?« fragte Merckel und sah zur Tür, wo Heinz und Petra standen.
»Ja!
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