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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zwei Flaschen … Und dann habe ich getanzt, eine Polka, links herum und rechts herum und hoch das Bein und juchhuh … ich, der Pfarrer Merckel, der sonntags von der Kanzel zu den Gläubigen sagt: »Wir alle sind Kinder Gottes, und Gottes Auge ruht väterlich auf euch! Er vergißt euch nie …« Und sie falten die Händchen, die lieben Gläubigen, und beten: Vater unser …
    Peter Kaul riß sich den oberen Knopf des Schlafanzuges auf. Obgleich er fror, war es ihm, als ersticke er. Er hat mich vergessen, Pfarrer Merckel, der Vater hat seinen wimmernden Sohn Peter Kaul vergessen. Er hat ihn nicht getröstet … er hat ihn in die Hölle schaffen lassen, in die Arme von Judo-Fritze, in die geilen Finger des Berliners, in den Teufelskreis der Medizin, die alles, was ein einmal Eingelieferter sagt oder tut, vom Psychiatrischen her bewertet.
    So stand er eine Weile, an die Hauswand gepreßt, starrte hinüber zur Kirche und zum Pfarrhaus und wußte nicht, ob er den Pfarrer aus dem Bett schellen sollte oder ob es wichtiger sei, Susanne, die Kinder, seine Wohnung zu sehen und abzuwarten, was am kommenden Tag geschehen würde.
    Schließlich lief er weiter … Arme angewinkelt, mit trommelnden Beinen, man hörte es meterweit, denn die Kolonie hatte eine neue Straße bekommen, eine gute Asphaltdecke, zwischen den Häusern Grünstreifen mit Lebensbäumen und Rotdornbüschen.
    Noch zweihundert Meter … noch hundert … das Haus …
    Er blieb stehen und sah hinauf zu den Fenstern seiner Wohnung.
    Natürlich schläft sie, dachte er. Es muß jetzt vier Uhr morgens sein. Aber andererseits: Warum schläft sie? Kann eine Frau, die ihren Mann liebt, selig schlafen, wenn er in eine Irrenanstalt gebracht worden ist? Muß sie nicht herumlaufen, nächtelang, sich gegen die Brust schlagen, die Welt anklagen, immer und immer wieder schreien: Er ist nicht krank! Er ist kein Irrer! Holt ihn heraus! Holt ihn heraus …
    Aber sie schläft. Susanne schläft. Die Fenster sind dunkel. In der Küche, im Zimmer, im Schlafzimmer. Überall. Nur bei Wollenwebers ist Licht. Aber das ist natürlich. Die älteste Wollenweber, die Lisa, 23 Jahre und üppig wie eine Parkstatue, macht wieder einen Nebenverdienst im Bett. Jeder hier weiß das. Und keiner kümmert sich drum. Warum auch? Muß doch jeder allein wissen, ob er eine Hure sein will!
    Die Haustür war unverschlossen. Das war ein Glück, denn meistens schloß sie die Parterremieterin, die Frau Plotzke, schon um 20 Uhr ab, laut Hausordnung, daß bei Einbruch der Dunkelheit das Haus geschützt sein müsse. Es hatte schon viel Krach deswegen gegeben, denn die Kinder spielten auch um 20 Uhr noch auf der Straße, standen dann vor der geschlossenen Tür und brüllten die Hauswand hinauf: Mutti! Mutti!
    Peter Kaul schlich die Treppen hinauf und stand vor der Wohnungstür. Wieder zögerte er. Auf einmal hatte er Angst. Was soll ich überhaupt hier, dachte er. Eigentlich gehöre ich gar nicht mehr hierher. Ich bin in die Ruhr gegangen, ich habe mir das Leben nehmen wollen, und Susanne hat mir keine Kleidung in die Anstalt gebracht, sondern Obst und Wurst und Kuchen. Was beweist, daß ich abgeschrieben bin! Daß ich zu Judo-Fritze gehöre, zu dem warmen Berliner, zu dem deliriumkranken Rechtsanwalt Dr. Faßbender, der im Schlafsaal einen Vortrag hielt: Darf die deutsche Justiz einen Exhibitionisten bestrafen, da es sich doch um die Entfaltung der Persönlichkeit handelt? Dahin gehöre ich … in den Augen von Professor Brosius, in den Augen von Pfarrer Merckel, in den Augen von Susanne … in den Augen der ganzen Umwelt …
    Sein Zeigefinger legte sich auf die Klingel. Er schrak zusammen und drückte sich an das Türfutter, als die Schelle im Inneren der Wohnung schrill aufkreischte. Sie hängt im Flur, dachte er. Über der Küchentür. Ein viereckiger Kasten, weiß gestrichen wie die Wand.
    Im Flur ging das Licht an. Er hörte, wie Heinz aus dem Bett kam und sagte: »Mutti, mach nicht auf … bitte … mach nicht auf. Ich habe Angst …«
    Da drückte er noch einmal auf die Klingel. Schrirrr … ein greller Ton, der bis ins Knochenmark geht, wenn er um diese Zeit erklingt.
    Nun kam auch Petra in den Flur. Peter Kaul legte das Ohr gegen die Tür. Er sah sie stehen, alle drei, eng zusammen, im Flur, einen Meter von der Tür entfernt, sie anstarrend und bis in die Fußspitzen bebend. Er hörte, wie Petra sagte: »Ich laufe ans Fenster, Mutti, und ruf um Hilfe! Soll ich?« Und er hörte, wie Susanne, seine Frau,

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