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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Fleisch, warmes, pulsendes Fleisch, glatte Haut, weiche Haare, eine Warze, hart wie eine Murmel, er fühlte Muskeln und Sehnen, Brust, Leib, Schenkel und Schoß, Beine, die sich um ihn schlossen wie Klammern, ein Mund, der aufriß unter Wimmern und Keuchen, Hände, die ihre Fingernägel in seinen Rücken hackten wie zehn Schnäbel tollwütiger Habichte … er lag auf einem Ballen auseinandergebrochenen Torfs, und um ihn herum tobte ein Meer, oder war es ein Vulkan, oder heulte ein Sturm … er konnte es nicht mehr unterscheiden, er unterschied überhaupt nichts mehr, er fühlte nur, er empfand nur, er war Tier und Gott, Mensch und Satan, er verströmte unter heiserem Stöhnen, er starb in der Glut des brennenden Leibes, den nichts mehr löschte, der ihn aufsaugte, ihn verdampfte, ihn zerstörte.
    Wie ein Trunkener schwankte er schließlich aus dem Schuppen, schlich an der Mauer entlang, atmete und atmete, inhalierte die frische Luft und begann zu zittern. Dann saß er wieder auf der Bank, leer wie eine ausgeschüttete Flasche, sein Herz hämmerte, sein Unterleib schmerzte, als sei er zerquetscht. Er legte die Hände vors Gesicht und schrie sich innerlich an. Du warst eine Bestie! Du hast sie gerissen wie der Wolf ein Schaf. Oder war sie eine Bestie? War er das Opfer gewesen? Was machte es aus? Es war geschehen. Aber es blieb kein Glück zurück, keine Freude, keine Zufriedenheit. Es blieb nur das zitternde Bewußtsein, die Grenze des Ichs übersprungen zu haben.
    So saß er da, als die Frau aus dem Schuppen kam. Sie strahlte, ihre Haare flatterten im Wind wie eine Siegesfahne, sie wippte wieder in den Hüften, ihr Lächeln war beseligt, ja, sie blieb stehen, sah zu Dr. Linden hinüber, hob die Hand und grüßte ihn, so wie man grüßt, wenn man sich begegnet … im Auto, auf der Straße, von fern … Hallo, siehst du mich? Guten Tag! Alles Gute …
    Dr. Linden starrte ihr nach, wie sie, umweht vom Odium der Lust, den Weg zum Haus ging, leichtfüßig tänzelnd, ein gezähmtes, aufgeputztes Tierchen, wippend wie im Rhythmus eines Zungenschlages … Er starrte ihr nach, als die Stationsschwester sie in Empfang nahm, sie musterte, auf die zerrissene Bluse wies, wie das Tierchen etwas antwortete, hell auflachte, auf einen Dornenbusch zeigte, wie die Schwester ihr glaubte und sie ins Haus holte.
    Und hier erst kehrte die Klarheit in das Hirn Dr. Lindens zurück. Es war eine Explosion, die ihn durchschüttelte.
    Sie ist eine Patientin!
    Sie ist irr … oder eine Trinkerin … oder … oder …
    Dr. Linden sprang auf und rannte aus dem Garten. Er benutzte wieder das Verbindungstor. Der Pfleger, der ihm auf sein stürmisches Klingeln öffnete, starrte ihn verwundert an. Er rannte weiter, blieb vor dem weißen Haus der Klinik Brosius stehen und ordnete seine Krawatte, bevor er in die Welt der Freiheit hinaustreten wollte.
    Dabei sah er kurz nach oben.
    Hinter dem Gitter eines Fensters im ersten Stock starrte ein Gesicht zu ihm herab. Peter Kaul.
    Du hast es gut, dachte Dr. Linden und wandte sich ab. Wie ich dich jetzt beneide.
    Hocherhobenen Hauptes, wie immer, ein Gentleman bis zu den Haarspitzen, schritt er durch die Halle der Brosius-Klinik hinüber zum Ausgang. Zwei junge Ärzte grüßten ihn devot. Sie waren neu bei Brosius. »Das ist er«, sagte der eine leise. »Morgen liest er wieder über Enzephalitis. Wetten, daß er in ein paar Jahren Ordinarius wird …?«
    Wer ahnte, daß der Ruhm Dr. Lindens in einem morschen Geräteschuppen begraben lag, hinter einer zwei Meter hohen Mauer, auf einem zertretenen Ballen Torf?
    Pfarrer Merckel war aus dem sauerländischen Dorf zurückgekehrt. Sein Predigtbuch war zwar noch nicht beendet, aber er hatte die innere Kraft, seinen literarischen Funken wieder unter die Glasglocke priesterlichen Benehmens zu drücken und sich von den Schnapsflaschen loszureißen. Er übernahm aus der Hand des Vikars wieder seinen Sprengel und erklärte auf Befragen: »Ja, es war sehr anstrengend. Immer diese Arbeitssitzungen auf den Tagungen. Ich bin froh, wieder hier zu sein.« Da er sehr zerknittert aussah, bedauerte man ihn auch ehrlich, ja, »unser Pfarrer reibt sich auf!«, hieß es in der Gemeinde, und er stieg in der Achtung.
    Bevor er sich richtig seinen Aufgaben widmen konnte, zu denen auch die Sorge um Peter Kaul und seine Familie gehörte, bekam er Besuch.
    »Nanu«, sagte Pfarrer Merckel. Nach einer Nacht tiefen Schlafes hatte sein mächtiger Bärenkörper die Strapazen der vergangenen Woche

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