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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gar nicht, denn für sie bist du ein besoffenes Luder, ein Gossenpenner. Junge, auch das ist Leben! Leben ist Bewegung, weiter nichts. Was gibt es Schöneres als Bewegung? Pfarrer Merckel sah nach oben an die Decke. Ja, so denkt ein Pfarrer, mein Gott! Auf der Kanzel predige ich anders, natürlich! Da rede ich von der Moral und der Selbstbezwingung, von der Schönheit des Lebens im Geist der Zehn Gebote, von der Treue, von der Liebe. Aber um diese Predigten zu schreiben, muß ich trinken, muß ich besoffen sein. Du, Gott, weißt es! Und du läßt mich leben! Wie werde ich einmal dastehen vor dir …
    »Sie waren betrunken, als das mit dem Mädchen geschah?« fragte er laut. Dr. Linden zuckte vor der plötzlich ihn anfallenden Stimme zusammen.
    »Ja. Natürlich! Ich bin immer betrunken!«
    »Was heißt immer?«
    »Ich kann nur arbeiten, wenn ich Alkohol habe. Morgens, gleich nach dem Aufstehen, brauche ich zwei Cognacs, mehr nicht. Das genügt.«
    »Wer weiß davon?«
    »Keiner.«
    »Ihre Frau?«
    »Sie ist völlig ahnungslos. Sie würde es nie glauben, wenn es ihr einer sagte.« Dr. Linden stützte sich schwankend an der Tischkante. »Daß Sie mich so von aller Würde degradiert sehen, ist nur darum, weil ich noch nichts getrunken habe …«
    »Dann holen wir das schnell nach.« Pfarrer Merckel goß ein großes Glas Cognac ein und reichte es Dr. Linden hin. Gierig griff dieser zu und trank es, ohne abzusetzen, aus.
    Die Verwandlung war plötzlich, so wie ein Schwamm Wasser aufsaugt und sich bläht und prall wird. Der Körper Dr. Lindens straffte sich, in die leeren Augen trat Glanz, jener faszinierende Glanz, den Betrachter achtungsvoll mit sprühender Energie bezeichneten. Auch Pfarrer Merckel verfolgte mit angehaltenem Atem die Verwandlung des Arztes. Und im gleichen Atemzug wußte er, daß der Mensch, der jetzt vor ihm stand, nicht mehr die Fähigkeit besaß, zu beichten und zu bereuen. Ein Schalter war herumgelegt worden: Der kalte Intellekt regierte wieder. Die vor Minuten noch bloßgelegte Seele hatte sich verkapselt. Sie schwamm, um mit Dr. Lindens plastischer Rede zu sprechen, wie ein Bandwurm konserviert im Alkohol.
    Dr. Linden stellte das Glas auf den Tisch. Seine Hand zitterte nicht mehr. Er strahlte eine Würde aus, ein Odium von Genialität, das selbst Pfarrer Merckel wie einen beklemmenden Hauch spürte.
    »Vergessen Sie, was ich gesagt habe.« Dr. Linden zog den bei der Beichte heruntergerissenen Schlips wieder hoch, steckte ihn in den Rockausschnitt, fuhr mit den Händen glättend über die Revers. »Sicherlich war es Dummheit! Es wird sich alles arrangieren lassen. Im Leben kommt es vor allem darauf an, unangenehme Dinge freundlich zu verpacken und dann wegzuschicken. Ein Stein, der im Weg liegt, ist dazu da, daß man ihn übersteigt, nicht, daß man über ihn stolpert …«
    »Und wenn dieses Mädchen nun doch ein Kind bekommt?«
    Dr. Linden griff nach seinem Hut und lächelte. Ein elegantes, ein weltmännisches, ein sicheres Lächeln.
    »Ich werde es leugnen, Herr Pfarrer.«
    »Und wenn sie es beweisen kann?«
    »Beweisen? Wie?« Dr. Linden ging zur Tür und klinkte sie auf. »Das schöne Fräulein ist Patientin in der Frauenstation der Deliriumkranken. Ich sagte es doch schon! Es wird einfach sein, ihre Wahrnehmungen als Halluzinationen zu diagnostizieren.«
    »Eine Geburt ist etwas Reales, Doktor!« rief Pfarrer Merckel entsetzt.
    »Allerdings. Aber zwischen Zeugung und Geburt liegen neun Monate! Das ist eine lange Zeit … fast zu lang für ein vom Alkohol zerstörtes Gehirn …«
    Pfarrer Merckel wartete, bis auch die Außentür des Pfarrhauses klappte. Dann griff er mit bebenden Händen zur Flasche, setzte sie an seinen breiten Mund und trank und trank.
    »Er ist doch ein Schwein!« sagte er laut, als er die Flasche wieder hinstellte. »Gott im Himmel, sieh es ein – so weit bin ich noch nicht …«
    An diesem Tag wurde die Arbeit auf dem Bau unterbrochen. Peter Kaul blieb in der Anstalt, ließ sich von Judo-Fritze bedienen und spielte den Erste-Klasse-Patienten mit vollendetem Können. Prof. Brosius untersuchte ihn am Vormittag selbst, er blieb fast eine Stunde lang in Kauls Zimmer und unterhielt sich mit ihm über Politik und Kultur. Das Gutachten Dr. Lindens war gut gewesen. Prof. Brosius gab es immer einen Stich, wenn die Gerichte seinen Kollegen Linden in seine Anstalt schickten, um Männer und Frauen zu untersuchen, die er, Brosius, besser kennen mußte als der ärztliche Gast, der nur

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