Privatklinik
Räumen gab schon zu Illusionen Anlaß. »Ich weiß nicht, gnädige Frau …«
»Mein Mann ißt sie so gern.«
»Ich will den Oberarzt fragen.«
So erhielt Peter Kaul zum Abendessen schöne dunkelblaue Weintrauben. Er aß sie gemeinsam mit Judo-Fritze, der ihm Gesellschaft leistete. Er aß sie unter Tränen, er streichelte jede Traube, bevor er sie in den Mund steckte und die harte Schale (blaue Trauben haben meistens harte Schalen) mit den Zähnen aufknackte. Dann saugte er den süßen Saft heraus und legte die Schale auf den Teller zurück. Judo-Fritze kaute und verschluckte sie. »In der Schale sitzt die Kraft!« belehrte er seinen Freund Peter Kaul. »Und nun heul nicht, mein Junge … morgen siehste und sprichste deine Frau. Aber kein Wort vom Bau, verstanden?«
In der Nacht träumte Kaul, er läge bei Susanne im Bett und sie seien Mann und Frau. Aber als er sich von ihr löste, war es gar nicht Susanne, sondern eine menschengroße Flasche, auf der ›Korn‹ stand. Da schrie er auf, sprang aus dem Bett – und erwachte auf dem Boden vor dem Bett, schweißüberströmt und am ganzen Körper zitternd wie im Schüttelfrost.
Er kletterte zurück unter die Decke, zog sie bis zum Hals und faltete die Hände unter dem Bezug.
»Nie wieder«, betete er. »Mein Gott, nie wieder trinke ich einen Schluck.«
Dann entsann er sich, daß heute Freitag war.
Freitag. Lohntag. Hubert Bollanz. Die fällige Überweisung. Zwanzig Prozent des Lohnes …
Er klapperte mit den Zähnen, sprang aus dem Bett, riß das Fenster auf und lehnte die Stirn an die weißgestrichenen Gitter.
Ein Toter, durch seine Schuld. Fünf Kinder ohne Vater, durch seine Schuld. Niemand weiß es … nur Bollanz, dieser Bollanz … und jetzt ist der zweite Freitag, wo er kein Geld bekommt. Er wird nicht schweigen, er wird sie alle ins Elend stürzen, wenn er spricht … Susanne, Petra, Heinz, Gundula …
Peter Kaul biß in die weißen Gitter. Sein Körper, sein Hirn schrien nach Alkohol. Es war, als kehre sich sein Magen plötzlich um … er würgte und wand sich in wahnsinnigen Magenschmerzen.
Aber niemand kam und half ihm. Er mußte allein mit dem Feind in sich fertigwerden.
Im Garten der Frauenabteilung setzte sich Dr. Linden wieder auf die Bank. Etwas unerhört Mächtiges trieb ihn hierher, etwas, was er nicht mehr bezwingen konnte. Er hatte es versucht, und er hatte es auf die einzige Art versucht, die Hilfe bringen konnte: Er hatte getrunken. Die Wirkung war katastrophal. Noch nie hat man einen Brand gelöscht, indem man Sprengstoff hineinschüttete. Es war Dr. Linden, als stehe er außerhalb seines Körpers, betrachte ihn und stelle die Diagnose: Heilung nur möglich durch eine Frau. Durch diese Frau. Ohne diese Frau wird dieser Körper verrotten. Da hatte er wieder getrunken, hatte anschließend zwei Tabletten Chlorophyll gelutscht, um den Alkoholgeruch zu verscheuchen, hatte Peter Kaul untersucht und saß nun auf der Bank, wartend auf etwas, was er selbst nicht wußte, was aber wie Fieber durch seinen Kreislauf jagte.
Und plötzlich sah er sie.
Ihr langes goldenes Haar, ihren schlanken Körper, die rehhaften Beine, ihre wiegenden Hüften, die spitzen Brüste, die den Stoff der weißen Bluse spannten. Er sprang auf, er wurde rot im Gesicht, er spürte es, wie das Blut zuerst zum Kopf drang und dann abfiel und sich in seine Männlichkeit stürzte. Dieses Gefühl machte ihn atemlos und einen Augenblick wie gelähmt. Dann ging er mit steifen Beinen auf das Mädchen zu, das vor ihm zurückwich, Schritt um Schritt, wie er Schritt um Schritt näher kam, zurückwich zu einer Gerätelaube, in der die Gärtnerinnen der Frauenabteilung das Handwerkszeug aufbewahrten.
Vier Meter vor ihm schlüpfte sie in die Laube, und als er ihr nachkam, empfing sie ihn mit einer Umarmung, hing sich an seinen Hals, küßte ihn mit der Wildheit eines hungrigen Tieres und drängte ihn gegen die morsche Bretterwand.
»Ich habe auf dich gewartet …«, flüsterte sie und nagte mit spitzen Zähnen über seine Lippen und über seinen Hals. Das machte ihn verrückt, er griff zu, umfaßte ihre Brüste und drückte sie. Ihr Stöhnen war raubtierhaft, brünstig und von einer entwaffnenden Dumpfheit. »Vier Tage habe ich gewartet«, flüsterte sie. »Ich wußte, daß du kommst … ich wußte es … Wie ich dich liebe, du! Man kann einen Menschen zerreißen aus Liebe, weißt du das? Man kann kannibalisch werden. O du … du …«
Stoff riß unter seinen Händen, er fühlte
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