Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Patienten Notizen macht, wird sofort von einem Odium des Vertrauens umweht. Das allein ist wichtig für die Heilung: das Vertrauen zum Arzt. Einmal hatte eine Patientin, sie war siebzig Jahre, darauf bestanden, das Gekritzel zu lesen. Brosius zeigte es ihr. Er hatte geschrieben Diagnosa deflorata. Eine völlig sinnloses Wort, bis auf deflorata. Die alte Frau lächelte unsicher. »Ist das schlimm, Herr Professor?« hatte sie gefragt. Und Brosius hatte im Brustton der Überzeugung geantwortet: »Das ist völlig normal, meine Dame.«
    Bei Peter Kaul schrieb er gar nichts. Er kritzelte bloß, sagte zu Fritze: »Beobachtungen?«, was dieser verneinte, dann sah er noch einmal Kaul an und fragte: »Halluzinationen?«, und als Kaul den Kopf schüttelte, war Brosius zufrieden und ging.
    Anders war es bei Dr. Linden, der als gerichtlicher Sachverständiger am dritten Tag ins Zimmer kam und sich Kaul gegenübersetzte. Er kam ohne Instrumente, er blickte ihm nicht in die Augen, er prüfte keine Reflexe. Er unterhielt sich nur.
    Aber instinktiv spürte Peter Kaul, wie gefährlich dieser freundliche, wie ein Filmbeau aussehende Arzt war. Er überlegte sich jede Frage und Antwort, und wenn er es nicht wußte – etwa: »Sie gewinnen im Lotto fünfhunderttausend Mark. Was tun Sie? Bauen Sie ein Haus, kaufen Sie sich eine Wirtschaft, würden Sie viel reisen?« – antwortete er zögernd. »Ich würde das Geld meiner Frau schenken. Was Susanne damit tut, ist gut, das weiß ich im voraus.« Es waren Antworten, die Dr. Linden verblüfften.
    »Hirn intakt«, notierte er sich in sein Untersuchungsbuch. »Nur bei Genuß von Alkohol psychogene Reflexionen. Heilungserfolg gegeben bei Entzug und Selbsthilfe des P.«
    Peter Kaul sah seinem Widersacher Dr. Linden, wie er ihn im stillen nannte, mit verschleierten Augen nach. Er sah ihn unter seinem Fenster über den Rasen gehen, durch das Tor der hohen Mauer, hinter der die Frauenabteilungen begannen, von denen man hier im Bau die tollsten Dinge berichtete. Viele geile Phantasie war dabei, aber selbst Judo-Fritze sagte einmal: »Lieber mit hundert Männern als mit drei von diesen Weibern! Wenn die monatelang keinen Mann haben, kommen sie auf die dümmsten Ideen.« Dann schwieg er sich aus. Er erzählte nichts. Es mußten harte Knochen sein, was da im Frauenabteil geschah.
    An diesem Tag wurde Susanne Kaul in der Verwaltung abgewiesen. Obgleich erste Klasse – zum erstenmal erfuhr Susanne, daß Peter ein Einzelzimmer hatte, wie versprochen, und daß die Kirche den Aufenthalt bezahlte, worauf sie vor Glück und Erschütterung zu weinen begann –, war es nötig, daß alle Besuche von Prof. Brosius selbst genehmigt wurden. Eine LHA ist schließlich kein normales Krankenhaus. Ob ein Patient hundert Mark am Tag bezahlt oder seine Krankenkasse dreiundzwanzig Mark fünfzig … ihr Säuferwahn blieb der gleiche, nur war er bei dem einen im eigenen Kämmerlein, während die anderen gemeinsam oder gegeneinander die Welt aus den Angeln zu heben versuchten.
    »Kommen Sie bitte morgen wieder«, sagte der Inspektor im Vorzimmer des Professors höflich. »Ich werde es mir notieren. Der Herr Professor ist morgen früh wieder da.«
    Es war Freitag. An einem Freitag ritt Brosius immer aus, durch den Stadtwald, Brust 'raus, Kreuz hohl, Schenkel eng am Pferd, die Zügel zwischen den Daumen, die Arme angewinkelt. Seine Sehnsucht als verhinderter Kavallerist brach dann durch. Er ritt sogar einen Angriff. Dann jagte durch seinen Kopf der Befehl: Eskadron – Gaaaalopppp!, und er preschte durch den Wald und über die sandigen Reitwege und fühlte sich um vierzig Jahre jünger, wie damals, als er sich zu den Ulanen meldete, aber das ›von‹ in seinem Namen fehlte. Jetzt war er Professor und Chef einer großen Anstalt, und die früheren Kavallerieoffiziere, die mit dem nötigen ›von‹, kamen jetzt zu ihm und legten sich nackt auf den Tisch und beugten sich seinen Diagnosen. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis! Nicht einmal das konnten die Offiziere mit ›von‹ übersetzen. Um es kurz zu sagen: Am Freitag war Professor Brosius ein froher, glücklicher Mensch …
    »Darf ich dann etwas für meinen Mann abgeben?« fragte Susanne Kaul den Inspektor.
    »Aber natürlich, gnädige Frau.«
    Gnädige Frau. Ab Einzelzimmer wird man so genannt. Auch das ist im Preis inbegriffen. Susanne nahm eine Tüte mit Weintrauben und reichte sie dem Inspektor.
    »Weintrauben?« Der Inspektor zögerte. Das Wort Wein in diesen

Weitere Kostenlose Bücher