Professor Mittelzwercks Geschöpfe
Füßen gehend, einen Fuß vor den anderen setzend, manchmal auf Rollschuhen, doch nie in einem Auto oder im Elektronikflitzer zu ihm, er besaß solche Fortbewegungsutensilien ebensowenig wie eine Flugbrumme, hatte sich nie bemüht, auch nur die billigste Ausführung dieser Dinge zu erwerben, eine schwere Versagensform, ein Stumpfsinn, der ihm bei seinen Mitmenschen Mißtrauen, Abneigung, ja, Ekel eintrug, so daß sie ihm nicht öffneten, wenn er sie, auf zwei Füßen kommend, sprechen wollte.
Sein liebloses Verhältnis zu solchen hohen gesellschaftlichen Werten wie Geld war derart krankhaft, daß er beim Anblick von Geldhaufen, Gel d scheinbündeln, Schecks und von Wertgegenständen in Form von Luxu s wohnturmsiedlungen, goldenen Schmuckpanzern, jenen juwelenübersäten Chemisetts und Leibchen, Salon-Raketen für Weltraumwochenendausflüge, worin gesunde Menschen den wahren Sinn des Lebens finden und deshalb auch ihr ganzes Leben dafür arbeiten, in schrille Schreie ausbrach. Ich möchte leben, schrie er, ich möchte leben, laßt mich doch leben, ich bitte euch; manchmal schrie er auch, er sei unschuldig, man möge ihm doch bitte nicht das Leben nehmen, er wäre aber fast von selbst gestorben, da er kaum noch zu essen pflegte.
Als er noch eine Frau hatte, beschuldigte er sie, sie wolle ihn vergiften, sobald sie eine lecker eingepackte Mahlzeit vor ihm aufriß; nichts war im recht, obwohl die dreißig Kataloge der Internationalen Mahlzeitenindustrie mit etwa sechzigtausend verschiedenen wissenschaftlich getesteten Frü h stücksmenü- und Abendbrot-Assietten abonniert hatte, die ständig die Programme wechselten. Er schrie hysterisch, ich möchte leben, und rührte nichts an. Ihm kam der sonderbare Einfall, selbst Nahrung anzubauen und seine Frau zu animieren, die Mahlzeiten selbst herzustellen. Dies führte dann zur Scheidung. Er habe unzumutbare, unanständige, menschenu n würdige Handlungen von seiner Frau verlangt, ein Unhold, zur Ehe untau g lich, so stand er vor Gericht, schon äußerst mager.
Da seine Kau- und Schluckmuskeln bei allen sechzigtausend angebotenen Assietteninhalten versagten, strich er nachts durch die Anlagen und fraß Laub von den Bäumen, im Winter schlich er in Gewächshäuser und Bl u menläden, doch immer häufiger geschah es im Zuge der Entwicklung, daß er nur Plastblätter vorfand, die ihm nicht gut bekamen.
Ich will nicht sagen, daß man mich schlecht behandelt hat, ich wurde als geschiedener Unhold zwar die bisherige Wohnung los, doch das Soziale Wohnungszuteilungswesen stellte mir ein vollelektronisches Appartement in einem neuen Turm bereit, ich konnte aber den Wohnvertrag nicht unte r schreiben, ich wurde plötzlich von einer Schreibhemmung befallen, ich konnte zwar den Stift festhalten, die Tintenpaste lief, aber zum Schreibakt kam es nicht.
Seit langem hatte er schon Fragebögen, Karteikarten, Anträge und and e re wertvolle Dokumente nicht mehr ausfüllen können, nun kon n te er auch seinen Namen nicht mehr schreiben. Befragt nach seinen Wünschen, schwieg er , und als ihm das Soziale Hilfs mannschaftsbüro anbot, die nöt i gen Papiere- es laufen jeden Monat für einen Durchschnittsbürger fünfun d siebzig bis hundert Formulare an – für ihn mit Schrift zu füllen, zeigte sich, daß er auch von einem Sprechversagen befallen war.
Da er niemals zum Ärztlichen Computeriat gegangen war – ich bin u n schuldig, ich möchte leben – , auch keine menschlich strukturierte mediz i nische Persönlichkeit zu konsultieren pflegte, blieb seine Krankheit unregi s triert, bis ihn die Hilfstruppe zum Schutz bestehender Gepflogenheiten aufgriff, als er dabei war, auf einem freien Fleckchen Erde aus Müllbestan d teilen eine Art Haus zu bauen. Man denke, auf einem freien Fleckchen, das es ja eigentlich nicht gibt. Es konnte nur das Fleckchen sein, wo jene Mül l teile gelegen hatten, bevor K. sie aufhob, um sich das Haus zu bauen. Er war halbnackt, bei ihm befand sich eine rostfarbene hochschwangere Ka t zenhündin sowie ein Lebewesen, das einer Flugbrumme nachgebildet schien. Der Offizier der Hilfstruppe befragte K. nach Herkunft und Beruf. Sogar bei dieser einfachen Anforderung versagte er, doch kam ihm teilwe i se die Sprache wieder.
Ich weiß nicht, gab er an, ich möchte leben. Nun, sie bekamen es auch ohne ihn heraus, die Datenabrufstelle funktionierte in dem Moment, als sie sein Bild erhielt.
Emil Erasmus K. war Koordin ationsverwaltungssekretärvertre ter ersten Grades im
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