Professor Mittelzwercks Geschöpfe
idiotisch, gemeingefährlich, wenn man bedenkt, daß es w o möglich die Elektronik durcheinanderbrachte, wodurch sich plötzlich, mitten auf der Reise, die Klappe lockern und schließlich öffnen könnte und vielleicht stä n dig sperren und Weltraumleerluft einlassen würde. Was hatte K. davon, wenn er den unabänderlichen Klappenschluß um eine tausendstel Sekunde verzögerte?
Nun, immerhin war das die Zeit, die meine Halsbandkamera gebraucht hat, um dieses Bild von ihm zu schießen, wie er die Tür aufstemmen will, ein Dünnmann, dessen Halssehnen zu zerreißen drohen und dessen blä ß lichgraue Augen wie Murmeln aus den Höhlen treten. Das Bild des absolut Verzweifelten, des total Hoffnungslosen, der freiwillig den Einschluß wünschte, im letzten Augenblick jedoch, von jeglicher Moral verlassen, dem primitivsten Freiheitsdrang zum Opfer fällt und dabei selbstverständlich, mein zweites Foto zeigt es, versagen muß. Emil Erasmus hat die Arme sinken lassen, sein Kinn hängt auf der Brust, alles an diesem elenden Ve r sager scheint zu hängen, vielleicht erkennt er selbst, daß schon der Wunsch, die Klappe aufzuhalten, Versagen war.
Bis zum Einlenken der Rakete in ihre vorgeschriebene Heilbahn verhielt er sich sprachlos, aß nicht, schlief nicht und zuckte nicht, wenn ich ihn betrachtete: eine Puppe zum Simulieren wissenschaftlich-technischer Vo r gänge mit menschlicher Beteiligung, nachlässig angemalt in grauen Tönen, gräuliche Haare auf den Kopf gemalt, und Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich, fertig ist das Pappgesicht, noch Segelohren drangeklebt, den Hals, als wäre der defekt und könnte brechen, mehrfach mit einem grauen Schal umwickelt, den Rest in einen Schlotteranzug vom Billigautomaten einget ü tet, Schuhe vom Leichenschuhhaus, Sonderangebot, die Brille aus dem Feinmüll, verbogen und mit nur einem Glas.
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Jeder Versagerpatient bekomme natürlich sein individuelles Heilpro - gramm, sagte mir Dr. Friedlinde Freund, Psychologin beim Institut für Ve r sagensforschung, die in Zusammenarbeit mit der Weltraumverkehrsverwa l tung errechnete Bahn sei präzise festgelegt, sie sei total sicher, Gefahre n momente könnten nach wissenschaftlicher Voraussicht nicht au f treten, keinem der Raumpatienten könne ernsthaft etwas zustoßen, die außerg e wöhnlichen Situationen, die ihnen hier oben verabreicht werden, seien sämtlich auf Sicherheit geprüft.
Wir wenden nicht jede Situation auf jeden an, im allgemeinen handelt es sich um kollektive Gefahren, die wir auftauchen lassen, unser Raumschiff kommt plötzlich vom Kurs ab, das kann auf den elektronischen Apparaten von unseren Patienten nachgeprüft werden, stimmt aber nicht; das Schiff wird, wie Lichterscheinungen auf dem Bildschirm zeigen, von fiktiven I n sassen einer feindlichen Raumstation bedroht; das Schiff beginnt heißz u laufen; die Sauerstoffversorgung droht auszufallen; eine lebensgefährliche Havarie tritt auf, ein Patient muß es wagen, notwendige Reparaturen außenbords durchzuführen; es wird Meteoritenalarm gegeben; das Schiff fliegt in ein Gebiet ein, wo die physikalischen Gesetze angeblich aufgeh o ben sind: Es scheint Gefahr zu laufen, sich in ein Perpetuum mobile zu begeben beziehungsweise selbst eins zu werden; plötzlich nähert sich das Schiff einem Schreckensplanetoiden, auf dem außerirdische Existenzen in tierischer Form ihr Unwesen treiben; ein Teil der Reisenden, und zufällig sind immer Patienten dabei, ist gezwungen, auf dem Planetoiden zu la n den, um durch Erforschung der Lebensumstände wertvolles Material zum Schutz der Erde zu sammeln. Solche gefährlichen Situationen beinhaltet unser Heilprogramm, sie sind ungefährlich.
Auf meine Frage, ob man solche Situationen nicht billiger auf der Erde in einer Art Geisterbahn von ungewöhnlichen Ausmaßen organisieren könnte, durch die man die Versager schleust, antwortet Dr. Freund:
Unsere Versagerpatienten sind heute noch sehr sensibel. Sie werden es merken, sogar, wenn man sie in eine echte Rakete steckt, den Abschuß simuliert, sie einschläfert und erst wieder in jener Geisterbahn aufwachen läßt. Wir sind zwar für das Leben und die Gesundheit unserer Schützlinge verantwortlich, aber ein bißchen Realität muß sein, denn würde nur einer merken, daß alles simuliert ist, könnte diese Erkenntnis schwere Depress i onen und die Manifestierung des Versagensgefühls hervorrufen. Ein so l cher Kranker wäre unheilbar.
Es gibt ja verschiedene
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