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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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ausgestattet und aufs Katheder erhoben wäre. Er redete und dachte in ihrer Sprache, gebrauchte ihr Rotwelsch, nannte die Garderobe ein »Kabuff«. Er hielt seine Ansprachen in dem Stil, den auch sie in solchen Fällen angewendet haben würden, nämlich in latinisierenden Perioden und durchwirkt mit »traun fürwahr«, »denn also« und ähnlichen Häufungen alberner kleiner Flickworte, Gewohnheiten seiner Homerstunde in Prima; denn die leichten Umständlichkeiten des Griechen mußten alle recht plump mitübersetzt werden. Da er selber steife Gliedmaßen bekommen hatte, verlangte er das gleiche von den andern Insassen der Anstalt. Das fortwährende Bedürfnis in jugendlichen Gliedern und in jugendlichen Gehirnen, in denen von Knaben, von jungen Hunden – ihr Bedürfnis zu jagen, Lärm zu machen, Püffe auszuteilen, weh zu tun, Streiche zu begehn, überflüssigen Mut und Kraft ohne Verwendung auf nichtsnutzige Weise loszuwerden: Unrat hatte es vergessen und nie begriffen. Wenn er strafte, tat er es nicht mit dem überlegenen Vorbehalt: Ihr seid Rangen, wie’s euch zukommt, aber Zucht muß sein; sondern er strafte im Ernst und mit zusammengebissenen Zähnen. Was in der Schule vorging, hatte für Unrat Ernst und Wirklichkeit des Lebens. Trägheit kam der Verderblichkeit eines unnützen Bürgers gleich, Unachtsamkeit und Lachen waren Widerstand gegen die Staatsgewalt, eine Knallerbse leitete Revolution ein, »versuchter Betrug« entehrte für alle Zukunft. Aus solchen Anlässen erbleichte Unrat. Schickte er einen ins »Kabuff«, war ihm dabei zumute wie dem Selbstherrscher, der wieder einmal einen Haufen Umstürzler in die Strafkolonie versendet und, mit Angst und Triumph, zugleich seine vollste Macht und ein unheimliches Wühlen an ihrer Wurzel fühlt. Und den aus dem »Kabuff« Zurückgekehrten und allen andern, die ihn je angetastet hatten, vergaß Unrat es nie. Da er seit einem Vierteljahrhundert an der Anstalt wirkte, waren Stadt und Umgegend voll von seinen ehemaligen Schülern, von solchen, die er bei Nennung seines Namens »gefaßt« oder denen er es »nicht hatte beweisen« können, und die alle ihn noch jetzt so nannten! Die Schule endete für ihn nicht mit der Hofmauer; sie erstreckte sich über die Häuser ringsumher und auf alle Altersklassen der Einwohner. Überall saßen störrische, verworfene Burschen, die »ihrs« nicht »präpariert« hatten und den Lehrer befeindeten. Ein Neuer, noch ahnungslos, bei dem zu Haus ältere Verwandte über den Professor Unrat gelacht hatten wie über eine Jugenderinnerung von freundlicher Komik, und der nun mit dem Schub zu Ostern in Unrats Klasse gelangt war, konnte sich bei der ersten falschen Antwort anfauchen hören: »Von Ihnen habe ich hier schon drei gehabt. Ich hasse Ihre ganze Familie!«
     
    Unrat auf seinem erhabenen Posten über all den Köpfen genoß seine vermeintliche Sicherheit; und inzwischen war neues Unheil am Ausbrechen. Es kam von Lohmann.
    Lohmann hatte seinen Aufsatz sehr kurz abgetan und dann zu einer Privatbeschäftigung gegriffen. Die wollte aber nicht vorwärtskommen, denn der Fall seines Freundes von Ertzum wurmte Lohmann. Er hatte sich gewissermaßen zum moralischen Schutzherrn des kräftigen, jungen Edelmanns aufgeworfen und betrachtete es als ein Gebot der eigenen Ehre, die geistige Schwäche des Freundes, wo es ging, mit seinem so hoch entwickelten Hirn zu decken. Im Augenblick, wo von Ertzum eine unerhörte Dummheit sagen wollte, räusperte Lohmann sich lärmend und soufflierte ihm darauf das Richtige. Die unbegreiflichsten Antworten des andern machte er den Mitschülern achtbar durch die Behauptung, von Ertzum habe den Lehrer nur »wütend ärgern« wollen.
    Lohmann war ein Mensch mit schwarzen Haaren, die über der Stirn sich bäumten und zu einer schwermütigen Strähne zusammenfielen. Er hatte die Blässe Luzifers und eine talentvolle Mimik. Er machte Heinesche Gedichte und liebte eine dreißigjährige Dame. Durch die Erwerbung einer literarischen Bildung in Anspruch genommen, konnte er der Schule nur wenig Aufmerksamkeit gewähren. Das Lehrerkollegium, dem es aufgefallen war, daß Lohmann immer erst im letzten Quartal zu arbeiten begann, hatte ihn trotz seiner zum Schluß genügenden Leistungen sitzenlassen, schon in zwei Klassen. So saß Lohmann, grade wie sein Freund, mit siebzehn Jahren noch unter lauter Vierzehn- und Fünfzehnjährigen. Und wenn von Ertzum dank seiner körperlichen Entwicklung zwanzig zu sein schien, so

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