Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Unrat gab seiner Gattin recht. Lorenzen mußte Freunde bitten. Die Pielemann führte eine Kollegin ein. Es war Sache der Herren, Kuchen, Aufschnitt, Früchte zu beschaffen. Den Tee lieferte dafür die Hausfrau. Regelmäßig stellte sich Appetit auf Sekt ein, und regelmäßig bemerkte Unrat dazu, mit seinem hinterhältigen Lächeln: »Es ist Ihnen bekannt, meine Damen und Herren, daß ich meiner Zugehörigkeit zum Lehrkörper des hiesigen Gymnasiums – mag es dahingestellt bleiben, ob verdienter- oder unverdientermaßen – verlustig gegangen bin.«
Man ließ ihn jedesmal zu Ende reden und freute sich. Dann legten die Herren zusammen, und es ward nach Sekt geschickt. Manchmal ging Unrat selbst und machte die Bestellung. Man sah ihn die Straße wieder heraufkommen, mit dem Korbträger vor sich, streng darauf bedacht, den Transport des Getränkes zu decken, wie er ihn ehemals im Blauen Engel gedeckt hatte.
Wenn die Laune hoch genug gestiegen war, willfahrte die Künstlerin Fröhlich den Bitten und trug ihre beliebten Lieder vor: einmal, als sie im Trinken unvorsichtig gewesen war, auch das vom runden Mond. Sofort unterbrach Unrat sie und schickte alle nach Haus. Sie wunderten sich, erhoben Widerspruch, begingen Dreistigkeiten. Aber als sie Unrat pfauchen und nicht gesonnen sahen, dies zu dulden, verzogen sie sich. Die Künstlerin Fröhlich bat ihren Mann kleinlaut um Verzeihung. Sie wisse wahrhaftig nicht, was ihr angeflogen sei.
Es waren alles jüngere Leute, und die meisten hatten zum Stammpublikum im Blauen Engel gehört. Solange sie in geringer Zahl waren, betrugen sie sich, unfähig, in einen rein menschlichen Verkehr mit Unrat hineinzufinden, scheu und frech; ulkten hinter seinem Rücken und fielen, wenn sie für ihre Witze einstehen sollten, in schülerhafte Demut zurück. Dann vermehrten sie sich, und der einzelne ward zum unverantwortlichen Zuschauer. Keine Vertraulichkeit fälschte mehr die Stimmung. Es war, als sei Unrat mit seiner Truppe einfach in ein kleineres Lokal übergesiedelt, wo man mit den Damen bequemer verkehren konnte. Dazu ward hier später geschlossen, und immer erst, wenn man freiwillig wegging. Einmal, als nur noch wenige da waren, bestimmte Lorenzen sie zu einem Baccara. Unrat bekundete Neugier, ließ sich das Spiel erklären und übernahm, als er es begriffen hatte, die Bank. Er gewann. Sobald dies aufhörte, gab er die Bank ab. Lorenzen fühlte sich, als Anreger der Partie, dazu gedrängt, Leben hineinzubringen. Er entnahm seiner Brieftasche Hundertmarkscheine in rascher Folge. Mehrere bekamen rote Köpfe und bedauerten einmal über das andere, nicht mehr Geld zu sich gesteckt zu haben. Der Bankier war wieder im Glück. Die Künstlerin Fröhlich glitt hinter ihren Mann und raunte: »Siehste woll? Was hast du denn die Bank nich behalten, oller Dussel.«
Unrat erwiderte: »Der Hut im Preise von achtzig Mark ist dein, meine Liebe. Auch bin ich in der Lage, dem Restaurateur Zebbelin vorläufig den Mund zu stopfen. Mag’s damit genug sein.«
Er sah gelassen den Lorenzenschen Banknoten nach, die nicht er selbst einsteckte. Worauf es ankam: der Schüler Lorenzen verlor sie; und Unrat, rascheren Atems, fühlte sich auf dem von unterirdischem Beben leise erschütterten Weg zum Triumph. Wie Lorenzen schließlich ernüchtert und mit einfältigem Gesicht in seine leere Brieftasche glotzte, ging Unrat auf ihn zu und versetzte: »Mag’s denn genug sein für heute, Lorenzen, mit unserer griechischen Stunde.«
Bald sickerte durch die Stadt die Kunde, daß bei Unrats Orgien gefeiert würden. Die Herren an der Börse und im Klub, an den Stammtischen, in den Kontoren erhielten durch einige Unverheiratete saftig übertriebene Schilderungen. Leichte Echos davon trugen sie in ihre Familien, und die Ehefrauen wisperten und wollten mehr wissen. Was denn der Cancan sei, den die Unrat getanzt haben sollte. Der Gatte vermochte es nicht hinlänglich zu erklären; und so stellten sie sich darunter irgendeine alle menschlichen Kräfte übersteigende Unzucht vor. Und dann das Spiel, das bei Unrats üblich sein sollte: ein Pfänderspiel. Mehrere Paare mußten sich auf den Fußboden legen unter eine große Decke, alle in einer Reihe, und immer ein Herr neben eine Dame. Sie lagen bis an den Hals zugedeckt, und solange die Decke sich nicht bewegte, ging es niemand etwas an, was darunter geschah. Bewegte sie sich aber, mußte derjenige ein Pfand geben, oder diejenigen. Dieses Spiel übte in der Stadt einen
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