Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
Konten. Oh bitte, sieh mich nicht so an«, fügte sie mit einem gespielten Schmollen hinzu. »Soweit es mich betrifft, ist Corp uns allen was schuldig. Das Mindeste, was sie tun können, ist, uns unser Frühstück zu bezahlen.«
Jet hatte streiten wollen, aber der Kaffeegenuss war stärker gewesen als ihr Sinn für richtig und falsch. Zumindest hatte sie auf einem Lagebericht bestanden, bevor sie sich gestattete, den Verlockungen von Kohlehydraten und Koffein nachzugeben. Die Zahl der Ausreißer und Abtrünnigen, die sich immer noch auf freiem Fuß befanden, hatte sich nicht verändert. Aber bis jetzt waren an diesem Morgen keine Außermenschlichen gesichtet worden und es hatte auch noch keine Berichte über Verbrechen gegeben, die gerade begangen wurden – nichts, was nicht im üblichen Rahmen lag, wie Meteorite versicherte. Diese Flaute kam – ganz vorsichtig ausgedrückt – überraschend.
Aber hey, da waren Donuts!
Jet saß bequem eingerollt in einer der zahlreichen Sitznischen des Hauptraumes. Sie hielt die Porzellantasse ganz dicht an ihrem Körper und genoss die Warme, die sich in ihren Fingern ausbreitete. Manchmal vergaß sie, wie kalt ihre Hände wurden, wenn sie keine Handschuhe trug.
Während sie hin und wieder an ihrem Kaffee nippte, staunte sie unentwegt darüber, wie entspannt sie sich fühlte. Sie hatte sich noch nicht mal fertig angezogen zum Dienst: Zwar trug sie schon ihren Anzug sowie Schuhe und Gürtel. Aber ihre Stulpenhandschuhe lagen noch auf dem Tisch, ihr Haar hing in einem lose gebundenen Pferdeschwanz über den Rücken, und ihre Optibrille saß oben auf der Stirn. Ihr Umhang befand sich in einem der hinteren Räume, ausgebreitet auf ihrem Feldbett. Es fühlte sich beinahe an, als hätte sie Urlaub.
Plötzlich verspürte sie ein leichtes Prickeln im Nacken. Jet versteifte sich sofort. Dann warf sie einen vorsichtigen Blick über die Schulter. Frostbite sah sie ganz seltsam an, den Mund zu einem schiefen Lächeln verzogen. Sein Blick ruhte auf ihr und gleichzeitig schien er ganz woanders hinzugehen. Sie zog eine Augenbraue hoch, und er lachte wehmütig in sich hinein.
»Ich musste gerade an unser zweites Ausbildungsjahr denken«, sagte er. »An dich und Iri, mich und Samson. Wie wir während der Semesterprüfungen viel zu viel Kaffee getrunken haben.«
Jet entfuhr ein bestürztes Lachen, als sie Sam vor sich sah. Den großen, starken Sam, der gerade seine vierte Tasse hinuntergekippt hatte und nun am ganzen Körper vor Nervosität vibrierte wie eine Katze, die eine Maus erspäht hat. »Wir hatten keine Milch mehr«, spann sie die Erinnerung fort, »und die Küche hatte zu, weil es drei Uhr morgens war.«
»Also haben wir unseren Kaffee von da an schwarz getrunken«, schloss er.
Beide lachten entspannt, und Frostbite hob seine Tasse, um Jet zuzuprosten. Sie tat dasselbe. Dann drehte sie sich wieder um, aber das Lächeln auf ihren Lippen blieb, während sie die köstliche dunkle Flüssigkeit in ihrer Tasse kreisen ließ. Die Erinnerung an Sam hatte zum ersten Mal nicht wehgetan, seit … na ja, zum ersten Mal eben. Es war eine bittersüße Erinnerung, so viel stand fest. Aber weder bohrte sie ein schmerzendes Loch in ihren Bauch, noch fühlte es sich an, als würde ihr das Herz herausgerissen.
Vielleicht ließ sie ihn jetzt endlich gehen.
Sie aß noch eine Beere. Dann rief sie fragend: »Immer noch nichts?«
»Gott!«, murmelte Firebug. »Hat dir jemand was in deinen Kaffee getan? Beruhige dich, Joannie. Wenn man uns braucht, wird Meteorite es uns schon sagen.«
Jet wusste das. Aber nach einer ganzen Woche, in der eine Bedrohung die andere gejagt hatte, traute sie dieser plötzlichen Abwesenheit von Kriminalität einfach nicht über den Weg.
Eine Dreiergruppe Runner betrat den Raum. Sie trugen eine Ladung verschiedener Kisten mit sich. »Persönliche Dinge aus dem Komplex«, verkündete einer von ihnen grinsend. »Nicht viel, aber das Beste, was wir in so kurzer Zeit auftreiben konnten.«
»Und wir mussten warten, bis eine Wache auf Posten war, der wir trauen konnten«, ergänzte ein anderer und lachte. »Trotzdem mussten wir so tun, als wären wir ganz gewöhnliche Plünderer.«
Mit Komplex war der von Corp finanzierte Wohnblock gemeint, der die Soldaten der Schwadron beherbergt hatte, wenn sie nicht im Dienst waren. Als alles zusammenbrach, hatten Jet und die anderen auf die harte Tour herausfinden müssen, dass ihre Wohnungen nicht mehr sicher waren. Jet schnitt eine
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