Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
nur noch ein entsetztes Flüstern. »Ich kann nicht.« Jet hielt inne, einen Fuß in der Luft. Dann sagte sie, ohne sich umzudrehen: »Wie bitte?«
»Du weißt nicht, was er mir angetan hat«, lamentierte Kai. »Was er mich sehen ließ. Ich kann nicht dorthin zurück, Joannie. Es tut mir leid.«
»Spar dir das«, unterbrach Frostbite ihr Gejammer. »Sheila, wir werden ständigen Kontakt halten. Sollte einer von uns nicht antworten, wenn du ihn rufst, dann vermute das Schlimmste.«
»Verstanden.« Pause. Dann: »Was geschieht in so einem Fall?«
»Dann sind wir entweder tot oder willenlos«, gab Jet knapp zurück. »Wenn hier keiner mehr ist, der gegen ihn kämpfen kann, informierst du Wagner über alles.« Der würde es dem Bürgermeister sagen, und Lee würde vor der harten Entscheidung stehen, das Leben Unschuldiger aufs Spiel zu setzen, wenn er Hypnotic verfolgen ließ. Und Wagner würde zuhören. Er war Polizist, hatte sich der Aufgabe verschrieben, Leben zu retten und die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten – aber er befolgte auch Befehle. Wenn Lee ihm und der Nationalgarde die Anweisung erteilen würde, im Sinne des Allgemeinwohls eine Bombe auf Hypnotics Quartier zu werfen, würde er es tun.
Die Pflicht zuerst, dachte Jet grimmig.
»Es tut mir leid«, wiederholte Firebug schluchzend. Vielleicht kam das Geräusch aber auch von der Runnerin, die den falschen Knopf gedrückt und so dafür gesorgt hatte, dass die Kacke jetzt richtig am Dampfen war.
»Komm, Joan«, sagte Derek, und seine Augen sprühten Funken. »Lass uns gehen und Callie den Arsch retten.«
Jet versuchte gar nicht erst, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Beim Licht, ihr war klar, dass sie alle Hilfe annehmen mussten, die sie nur kriegen konnten.
Die beiden stürmten hinaus und ließen Firebugs Schluchzen weit hinter sich.
ZWISCHENSPIEL
»Okay, Mr McFarlane. Noch mal von vorn.« Garth stöhnt. Wie gut, dass er seine Sonnenbrille aufhat. Wenn die Detectives sehen, wie er mit den Augen rollt, geht die ganze Sache hier wahrscheinlich in die Hose. »Wir sind das doch schon zweimal durchgegangen.«
»Aller guten Dinge sind drei«, sagt der Gute Bulle, ein riesiger Mann, der aussieht, als ob er in seiner Freizeit Ringkämpfe mit lebenden Bären austrägt.
Der pedantische Detective, der Böse Bulle, trägt einen Dienstanzug, der wahrscheinlich mehr gekostet hat, als Garth für seine Wohnung an Miete zahlt. Er blickt auf seine Notizen. »Also: Sie sind die Dritte runtergegangen und haben sich nur um ihren eigenen Kram gekümmert.«
»Richtig.« Garth versucht, nicht allzu verärgert zu klingen. Aber: Heiliger Jesus, wie oft wollten sie das denn noch hören? Er hat echt nicht vor, den beiden zu erzählen, dass er einfach mal an die frische Luft musste, weil das Herumsitzen in der Wohnung und die Diskussionen mit Terry und den anderen, wie man Hypnotic bekämpfen könnte, einen Mann wirklich zu solch einer Verzweiflungstat treiben kann. »Ich wollte einen Kaffee aus dem Laden an der Ecke holen –«
»Joses Deli and Grill.«
»Genau. Die machen den besten Kaffee in der ganzen Stadt. Also, ja, ich bin die Dritte runtergegangen, und wie ich so an einem Wohnhaus vorbeikomme, höre ich jemanden weinen. Eine Frau. Ich bleibe also stehen und versuche herauszufinden, wo genau das Weinen herkommt. Und als mir klar wird, dass es vom Seiteneingang des Gebäudes kommt, gehe ich hin und sehe, ob ich helfen kann.«
»Weil Sie ein barmherziger Samariter sind.« Der Böse Bulle spricht die Worte aus, als bezeichneten sie eine ansteckende Geschlechtskrankheit.
»Komm schon, Joe«, sagt der Gute Bulle. »Lass ihn ausreden.«
»Na gut«, grummelt Joe Böser Bulle.
»Meine Frau ist ein Opfer der Zombie-Seuche.« Garths Stimme klingt sanft, zaghaft, an den Rändern gesäumt von Zärtlichkeit und Zorn. »Ich kann ihr nicht helfen. Aber wenn ich der Frau eines anderen helfen kann …« Er zuckt mit den Schultern. Kann schon sein, dass das ein bisschen sexistisch ist, aber er hat nun mal eine Schwäche für Frauen in Not. Er sieht keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen.
»Tut mir leid«, sagt der Gute Bulle.
»Danke.« Garth spricht ein stilles Gebet für Julie, dann fährt er fort. »Ich gehe also um die Ecke. Und dort sehe ich einen Mann, der sich gerade über eine Frau hermachen will. Na ja, eher ein Mädchen. Wahrscheinlich nicht älter als sechzehn. Er schlägt sie, und es sieht so aus, als habe er noch Schlimmeres vor.
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