Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
in ihr Ohr. »Es ist ein guter Tag.«
»Du lügst.« Es klingt eher wie ein Seufzen. Ihr Herz ist schwer, und in ihren Augen stehen Tränen. »Du wirst getötet werden, und mir wird nur der Schatten bleiben.«
»Jet«, sagt er, »ich bleibe bei dir, das verspreche ich.« Er umarmt sie, sieht ihr in die Augen und schwört: »Ich werde dich nicht verlassen. Niemals.«
»Du lügst.«
»Nein, Joannie. Tu ich nicht. Ich muss nur mal kurz weg. Aber ich schwöre dir, ich komme zurück.«
»Ich möchte dir glauben«, flüstert sie. »Aber du wirst mir das Herz noch einmal brechen, Sam.«
»Ich verspreche es dir, Joannie Greene. Ich komme zurück. Ich liebe dich.«
Sie umarmt ihn heftig, und er bückt sich zu ihr herunter, um sie zu küssen. Als sich ihre Lippen treffen, gestattet sich Jet, Samsons Versprechen zu glauben. Und für diesen kurzen Augenblick Ewigkeit ist alles perfekt.
Der Kuss dauert lange, sehr, sehr lange.
Jets Augenlider flatterten, als sie langsam wieder zur Oberfläche ihres Bewusstseins auftauchte. Sofort trafen drei Dinge sie wie eine Keule. Erstens: Sie trug nur ihren BH und ihr Höschen. Zweitens: Sie hatte keine Ahnung, wo sie überhaupt war. Und drittens: Wenn sie nicht sofort ins Bad kam, würde ihre Blase auf der Stelle platzen.
Sie setzte sich auf und blickte sich blinzelnd um. Einen Moment später machte es Klick. Sie war im Hauptquartier der Schwadron, in einem der Hinterzimmer, die sie als Schlafräume benutzten. Wimpel und Trikots schmückten die Wände, gehüllt in den Staub einer glorreichen Vergangenheit. Okay. Das bedeutete, die Toilette befand sich den Gang hinunter, auf dem Weg zur Bar. Weiter.
Jet griff sich die Decke, unter der sie gelegen hatte. Dann schob sie sich vorsichtig von ihrem Feldbett, um die Kraft ihrer Beine zu testen. Sie fühlte sich ein wenig schwindelig, aber das konnte am niedrigen Blutzuckerspiegel liegen. Sie warf sich die steife Decke über und drapierte sie wie eine provisorische Toga. Dann tapste sie aus dem kleinen Raum hinaus auf den Gang. Nachdem sie sich kurz orientiert hatte, fand sie ohne weitere Schwierigkeiten die Damentoilette und erledigte ihr Geschäft.
Sehnsuchtsvoll betrachtete sie die Dusche, ging aber stattdessen weiter Richtung Hauptraum. Zum Teufel mit der Sittsamkeit!
Ein Blick zeigte ihr Meteorite, die neben der Hauptkonsole hockte und völlig geistesabwesend mit einem Putzlappen über den Bartresen fuhr, während sie auf ihrem Splitscreen diverse Videonachrichten betrachtete. Da waren Aufnahmen von einem Krawall zu sehen, Nachrichtenkommentare und Bilder von Polizisten, die protestierende Menschen zurückhielten und -
»Licht«, keuchte Jet. »Brennt etwa das Rathaus?«
Mit einem erschreckten Quieken fuhr Meteorite von ihrem Stuhl hoch, den zusammengeknüllten Lappen fest in der Faust. Dann wurde sie über und über rot und atmete bebend aus. »Gott, wie kannst du dich denn so anschleichen? Wie fühlst du dich?«
»Gut«, kam die Antwort. Es stimmte: Jet konnte wieder klar denken und fühlte sich richtig ausgeruht. »Hungrig.«
Meteorite gluckste. »Darauf wette ich.«
»Was passiert da am Rathaus?«
»Immer mehr Protestler. Einige sind ganz schön kreativ. Firebug ist bereits unterwegs, um der Feuerwehr zu helfen. Außerdem will sie versuchen, ein bisschen Schadensbegrenzung zu betreiben, was die PR angeht.«
»Gut.«
Jet starrte einen Moment lang auf die Bildschirme und dachte darüber nach, wie es wohl der Bürgermeister aufnehmen würde, wenn sein Büro abbrannte. Wahrscheinlich genauso gut, wie Everyman die Bombardierung seines Hauptquartiers aufgenommen hatte. Zumindest tat Kai diesmal ihre Pflicht.
… rette die Welt …
Irgendwas ging Jet im Kopf herum. Irgendwas mit … Everyman? Nein, nicht ganz. Aber sie musste jetzt ohnehin an andere Dinge denken. Die Decke fester um sich ziehend, fragte sie: »Wie bin ich hierhergekommen? Wo sind die anderen? Geht es ihnen gut?« Pause. »Und warum bin ich fast nackt?«
Letztere Tatsache machte Jet extreme Sorgen. Sie erinnerte sich an den Klang von Bruce’ Lachen, daran, wie sich seine Hände auf ihrer Haut angefühlt hatten. Wütend presste sie die Zähne zusammen. Ihre Hormone waren noch mal ihr Tod.
»Jetzt mal schön langsam«, sagte Meteorite und hielt die Hände in einer Unterwerfungsgeste hoch. »Die anderen sind unterwegs. Sie tun, was in ihren Kräften steht. Du bist nackt, weil ich dir dein Kostüm ausziehen musste, um zu sehen, wie schwer du verletzt
Weitere Kostenlose Bücher