Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)
einmal mehr die Show ist gut, sondern eben nur noch abstoßend. Wie sagte unser Österreichischer Autor Andreas Tögel jüngst so schön: ›Die politische Klasse rangiert hinsichtlich ihrer Wertschätzung auf dem Niveau von Hütchenspielern, Zuhältern und Karussellbremsern.‹ Welcher moralisch integre Mensch sucht sich einen Beruf, in dem er mit billigen Versprechungen auf andererleuts Kosten hausieren geht? Wer tut sich die Ochsentour in nächtelangen Klüngelsitzungen mit sogenannten Parteifreunden an? Ausnahmen bestätigen immer die Regel, aber wenn wir uns die Parteiführungen so anschauen, dann sind wir wohl langsam beim allerletzten Aufgebot angekommen, der Karikatur einer ursprünglichen Elite. Wie kann man da nicht politikverdrossen sein? Und das, ganz ohne überhaupt von den Inhalten zu reden, von den ständig zunehmenden Eingriffen der Politik in die persönlichen Angelegenheiten, von den Interventionsspiralen, steigenden Abgaben, Verschuldungsorgien und so weiter .« Damit droht die Demokratie einer Art von innerem Zersetzungsprozess ausgesetzt zu werden. Wenn sich der Souverän, getrieben von einer Sehnsucht nach kollektiver, infantiler Regression, bloß noch amüsieren, aber nicht mehr informieren will, wird der demokratische Entscheidungsfindungsprozess dysfunktional. Er funktioniert dann nicht mehr wissensbasiert, sondern bloß noch gefühlsorientiert. Gewählt wird, wer fesch ist, wer an die richtigen Emotionen appelliert oder die bessere Werbeagentur beschäftigt.
Zu befürchten ist, dass sich diese Tendenz noch weiter verschärfen wird. Denn auch das Internet und seine quantitativ nahezu unbegrenzten Informationsangebote führen nicht wirklich dazu, dass der Wähler sich spätabends über die Vor- und Nachteile der nächsten Novelle des Sozialversicherungsrechts und die unterschiedlichen Ansichten der Parteien dazu schlau macht, sondern das Internet potenziert im Wesentlichen das Angebot, sich zu zerstreuen. Dazu kommt, dass im World Wide Web die sogenannte »Gatekeeper-Funktion« hochwertigen Journalismus teilweise entfällt. In diesem informatorischen Feuchtbiotop kann der Wähler in vielen Fällen nicht unterscheiden, was Dichtung ist und was Wahrheit.
Und so entscheidet er sich dann auch.
Auch das trägt nicht eben dazu bei, das Funktionieren des demokratischen Prozesses zu gewährleisten.
VI. Demokratie kann Unfreiheit bringen – oder: Die Freiheit, jedermanns Sklave sein zu dürfen.
F ür die meisten Bewohner westlicher Wohlfahrtsstaaten gehören Demokratie und Freiheit so eng und unauflöslich zusammen wie Strand und Sonne. Demokratien bringen nach allgemeiner Ansicht Freiheit, und Freiheit schafft automatisch Demokratie.
Wir haben es hier mit einem der populärsten Irrtümer zu tun, den die Ideengeschichte hervorgebracht hat. Denn demokratische Mehrheitsentscheide taugen zur Beschneidung von Freiheit genauso gut wie zum Erzeugen von Freiheit. Das ist eine gut verdrängte Nebenwirkung des demokratischen Prozesses.
Fragen wir zum Beispiel einen schwulen Mann, der in den 1960er oder 1970er Jahren in den durch und durch demokratischen Staaten Deutschland und Österreich gelebt hat, ob er die dort ganz demokratisch zustande gekommenen Gesetze gegen Homosexualität, Knast für Schwule inbegriffen, wirklich für einen persönlichen Zugewinn an Freiheit gehalten hat.
Fragen wir zum Beispiel einen heute in der superdemokratischen Schweiz lebenden Moslem, ob er das über ein demokratisches Mehrheitsvotum herbeigeführte »Minarettverbot« tatsächlich als Bereicherung seiner (religiösen) Freiheit empfindet. Auch dass Frauen in manchen Kantonen der Schweiz bis in die 1970er Jahre hinein nicht wahlberechtigt waren, natürlich streng demokratisch legitimiert, wird man nicht unbedingt als Ausdruck besonderer Freiheitsliebe des demokratischen Souveräns verstehen können.
Fragen wir zum Beispiel einen leidlich gut verdienenden österreichischen Steuerzahler, ob er die demokratisch zustande gekommenen Gesamtabgabenlast von bis zu 70 Prozent (inklusive den unsichtbaren Einkommensteuern, der Mehrwertsteuer und anderen Abgaben) als besonderen Ausdruck seiner persönlichen Freiheit versteht, über den von ihm erwirtschafteten Wohlstand auch selbst entscheiden zu können, oder ob da nicht in Wahrheit eine Mehrheit durch einen demokratischen Prozess die Ausplünderung einer Minderheit betreibt.
Fragen wir zum Beispiel einen Bewohner des Gazastreifens, der wegen seiner politischen oder
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