Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)
sich immer weiter auszubreiten und immer größere Anteile des von manchen Wählern geschaffenen Wohlstands zu krallen. Schließlich muss er ja »für Gerechtigkeit« sorgen und »sozialen Ausgleich« herstellen.
Deshalb sind in den Demokratien während der vergangenen Jahrzehnte die Staatsausgaben (in Prozent vom Bruttosozialprodukt) auch überall dramatisch angestiegen. In den USA etwa von 7,5 Prozent im Jahre 1913 auf 42,2 Prozent im Jahr 2009, in Deutschland von 14,8 Prozent auf 47,6 Prozent, in Österreich von 17 Prozent auf 52,3 Prozent und in Schweden von 10,4 Prozent auf 52,7 Prozent.
Wenn aber der vom Staat kontrollierte Anteil am von seinen Bürgern geschaffenen Wohlstand derart dramatisch ansteigt, nimmt die Freiheit des Einzelnen rapide ab, über seinen Wohlstand selbst zu verfügen. Mehr Demokratie bedeutet daher wenigstens in diesem Zusammenhang gerade für den produktivsten Teil der Bevölkerung eine Einbuße an Freiheit. Deshalb wird überall dort, wo die Mehrheit diesen Prozess extrem betreibt, wie etwa im Schweden der 1970er Jahre, eine Flucht der produktiven Bevölkerungsschichten in andere Länder beginnen.
Mit diesem demokratisch herbeigewählten steten Zuwachs staatlicher Kontrolle über das von seinen Bürgern Erarbeitete steigt auch die Neigung des demokratischen Staates, immer mehr Lebensbereiche des Einzelnen zu reglementieren, zu überwachen und zu steuern. Deshalb dürfen die Bürger der europäischen Demokratien heute zwar nicht mehr selbst darüber entscheiden, welche Glühbirnen sie in ihrem Schlafzimmer verwenden, sehr wohl aber, welche Partei sie in ihr Parlament wählen. Nur Zyniker werden behaupten, darin spiegle sich die Einschätzung der europäischen Eliten wider, welche Entscheidungen sie für relevant halten und welche nicht.
Diese Neigung, die Freiheit des Einzelnen in seinem vermeintlich eigenem Interesse systematisch zurückzudrängen, ist zwar keine Spezialität der EU, doch in diesem stark vom französischen Etatismus und Dirigismus geprägten Milieu der europäischen Demokratie gedeiht sie ganz besonders prächtig.
Besonders elegant hat das der deutsche Publizist Hans Magnus Enzensberger in seinem Text »Das sanfte Monster Brüssel« beschrieben: » Immerhin kann sich die Europäische Union aber einer Herrschaftsform rühmen, für die es kein historisches Vorbild gibt. Ihre Originalität besteht darin, dass sie gewaltlos vorgeht. Sie bewegt sich auf leisen Sohlen. Sie gibt sich erbarmungslos menschenfreundlich. Sie will nur unser Bestes. Wie ein gütiger Vormund ist sie besorgt um unsere Gesundheit, unsere Umgangsformen und unsere Moral. Auf keinen Fall rechnet sie damit, dass wir selber wissen, was gut für uns ist; dazu sind wir in ihren Augen viel zu hilflos und zu unmündig. Deshalb müssen wir gründlich betreut und umerzogen werden.
Wir rauchen, wir essen zu viel Fett und Zucker, wir hängen Kruzifixe in Schulzimmern auf, wir hamstern illegale Glühbirnen, wir trocknen unsere Wäsche im Freien, wo sie nicht hingehört. Wo kämen wir hin, wenn wir selbst entscheiden könnten, wem wir unsere Wohnung vermieten wollen! … Wer sonst als die Kommission soll darüber befinden, wie der europäische Zahnersatz oder die europäische Kloschüssel auszusehen haben? Wäre nicht ein heilloses Durcheinander zu befürchten, wenn über solche Fragen in Stockholm oder London statt in Brüssel entschieden würde? Wo kämen wir hin, wenn sich am Ende irgendein Magistrat darüber Gedanken machte, nach welchen Vorgaben in seiner Gemeinde Busse und U-Bahnen fahren? Solche Extratouren dürfen auf keinen Fall geduldet werden. Die Europäische Union weiß alles besser als wir.
Sie herrscht nicht durch Befehl, sondern durch Verfahren. Zum Glück verfügt sie weder über eine Armee noch über eine eigene Polizei; soweit wir wissen, unterhält sie bisher nicht einmal einen Geheimdienst, der CIA , BND und FSB das Wasser reichen könnte. Schon deshalb verbietet sich der Vergleich mit autoritären Regimes. Die Union sieht ihre Aufgabe nicht darin, ihre Bürger zu unterdrücken, sondern darin, alle Lebensverhältnisse auf dem Kontinent möglichst lautlos zu homogenisieren. Hier wird nicht an einem neuen Völkergefängnis gebaut, sondern an einer Besserungsanstalt, der die gütige, aber strenge Aufsicht über ihre Schutzbefohlenen obliegt. Im Idealfall soll das Leben ihrer Zöglinge von einer paragrafenreichen Hausordnung, die von der Festlegung des Wohngeldes bis zum gesunden Speiseplan
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