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Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Titel: Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ortner
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die Grundlage, um sich sachkundig um die res publica kümmern zu können.« (Minelli)
    »Wir amüsieren uns zu Tode«, hatte der amerikanische Medientheoretiker Neil Postman bereits 1985 in einem gleichnamigen Buch behauptet. Dieser Prozess der kollektiven Verblödung hat seither enorme Fortschritte gemacht. Was Postman vor einem Vierteljahrhundert beschrieben hat, ist heutzutage geradezu ins Monströse metastasiert. Die Ablöse der inhaltsorientierten Medien durch unterhaltungsorientiertes Gequake, das Verdrängen des Wortes durch das Bild, der Übergang vom »Zeitalter der Erörterung« zum »Zeitalter des Entertainments« und das Ersetzen des Erkenntnisstrebens durch das Streben nach Zerstreuung – all das sind sichtbare Merkmale einer ehemals demokratischen Gesellschaft, die sich als Prolokratie neu organisiert hat.
    Dass große Verlagshäuser des deutschen Sprachraums heute deutlich mehr verlegerische Energie, journalistische Kapazität und finanzielle Ressourcen in den Themenkomplex »Leben auf dem Lande« investieren als in den klassischen Investigativjournalismus, deutet an, dass diese Entwicklung in eine Art Selbstmarginalisierung des Medienbetriebes führt. Neil Postman hat darin mit Recht und noch mehr Weitblick eine Gefahr für die Demokratie gesehen: » Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird, als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr – das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung. «
    Die Auswirkungen, die das auf den politischen Prozess in der Mediendemokratie hat, sind, wenn man einen guten Magen hat, tagtäglich zu besichtigen. Willkommen in der Prolokratie!
    Wenn Erörterung durch Entertainment ersetzt wird und Erkenntnisstreben durch Zerstreuung, so tritt die Emotion an die Stelle der Ratio. Politik wird so in vielen Fällen ersetzt durch »Politik der Gefühle« (so der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger), in der es nicht mehr darum geht, die Wirklichkeit zu verändern, sondern das Ziel ist, beim Wähler das Gefühl zu erzeugen, die Wirklichkeit verändern zu wollen.
    Den Medienunternehmen die Schuld für diese Entwicklung zuzuweisen, an der die Demokratie letztlich zerbrechen könnte, ist ebenso beliebt wie blödsinnig.
    Denn auch Medienunternehmen sind letztlich nicht jene erlauchten Agenten der Aufklärung, als die sie sich gelegentlich gerieren, sondern eben Unternehmen. Ihre primäre Geschäftsgrundlage ist nicht die Verbesserung der Welt, sondern das Erzielen von Profit. Alles andere ist Gewäsch für Laudationen zum Geburtstag in Ehren ergrauter Chefredakteure.
    Deshalb versuchen sich Medien im Regelfall genauso nach den Wünschen, Bedürfnissen und Sehnsüchten ihrer Kunden zu richten wie H&M, McDonald’s oder VW. Sie wünschen, wir spielen. Wenn die Kundschaft lieber über Landleben liest als über Libyen, dann gibt es eben Landleben statt Libyen.
    Ob in einer Demokratie Medien noch imstande sind, die für den demokratischen Prozess zwingend notwendigen Informationen, Argumente und Analysen zu liefern, oder ob sie sich als Teil der Unterhaltungsindustrie verstehen und die Bezeichnung »Vierte Gewalt« nur noch als Traditionsabzeichen tragen wie die greisen Weltkriegsveteranen ihr Ritterkreuz, entscheiden daher nicht Medienmogule oder Medienpolitiker, sondern der Kunde. Nur er bestimmt letztlich bei der täglichen Abstimmung am Kiosk, mit der Fernbedienung oder am Tablet-PC, den Content von Medien.
    Letztlich entscheiden also Jessica und Kevin darüber, was am Kiosk und am Bildschirm angeboten wird.
    Und genauso sieht dieses Angebot ja auch aus. Übrigens auch das politische Personal. Wo Jessica und Kevin nach allen möglichen, nur nicht sachbezogenen Argumenten ihre Stimme abgeben, verhalten Politiker sich so, wie Politiker sich heute eben verhalten. Sie sind nicht von einer Meinung geleitet, sondern von einer Meinungsumfrage. Hauptsache ist, sie sind möglichst medienkompatibel. » Das politische Personal unterliegt in der modernen Parteiendemokratie einer Negativauslese, die nun seit Jahrzehnten wirkt. Entsprechend sind die Ergebnisse«, urteilt der deutsche Publizist André F. Lichtschlag, Herausgeber des Magazins »Eigentümlich Frei«. »Nicht

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