Promenadendeck
drei Filme verknipst zu haben. Welch ein Gemütsathlet muß sie sein. »Ich bin als Kapitän verpflichtet, einen an Bord Verstorbenen im nächsten größeren Hafen, der über die nötigen Transportmöglichkeiten verfügt, an Land zu bringen. Das ist Auckland. Wir werden Ihren Mann von dort nach Deutschland fliegen.«
»Nein!«
Das war ein klares, nüchternes Wort. Alma Richter zermalmte den Rest der Salzstange und griff nach ihrer Bouillon.
»Warum nicht?«
»Wir haben bis Sydney gebucht und bezahlt, und bis Sydney fahren wir auch. Es spielt da gar keine Rolle, daß mein Mann gestorben ist. Er ist Passagier wie alle anderen auch. Ob er an Deck sitzt oder im Kühlraum liegt – es ändert sich doch nichts.«
»Er ist tot, Frau Richter!«
»Er hat die Reise voll bezahlt und hat ein Recht, sie auch zu machen. Ob lebendig oder nicht.« Sie sah Teyendorf böse an. »Oder glauben Sie, ich verzichte auf Neuseeland und Australien? Ich lasse mir doch nicht durch meinen Mann dieses Erlebnis entgehen!«
»Die Reederei wird Ihnen den letzten Teil der Reise voll ersetzen.«
»Ich will kein Geld. Ich will nur mein Recht! Und das lautet: Bis Sydney bezahlt, bis Sydney an Bord. Ich könnte sogar darauf bestehen, alle Schiffsleistungen ab sofort doppelt zu bekommen, denn wir haben ja auch für zwei Personen bezahlt. Wenn mein Mann schon nicht mehr die Mahlzeiten wahrzunehmen vermag, dann kann ich wenigstens verlangen, daß man ihn weiter beherbergt. Er nimmt ja in der Eiskammer keinem einen Platz weg!« Sie trank ihre Bouillon aus und stellte die Tasse mit einem Knall auf den Tisch zurück. »Ich bin strikt dagegen, daß Sie meinen Mann in Auckland an Land bringen, Herr Kapitän. Ich protestiere hiermit gegen diese Willkür!«
Teyendorf gab es auf, mit Alma Richter weiter darüber zu diskutieren. Er erhob sich, grüßte und verließ das Sonnendeck.
Beim Mittagessen winkte Alma Richter energisch Obersteward Pfannenstiel an ihren Tisch und putzte sich ihre Spinnenfinger an der Serviette ab. »Ich möchte, daß Ihre Stewards sich nach dem Essen an meinem Tisch versammeln«, sagte sie mit strengem Studienratston.
»Wie Sie wünschen. Aber warum?«
»Das werden Sie dann erfahren, Herr Pfannenstiel.«
Pfannenstiel nickte höflich und begann dann seine Runde durch das Restaurant. Zu jedem Steward sagte er: »Nach dem Essen alle zum Tisch von Rumpelstilzchen. Glotzt nicht so dämlich, ich weiß auch nicht, weshalb.«
Um halb drei hatten die letzten Gäste das Restaurant verlassen. Die Stewards marschierten heran und stellten sich vor dem Tisch Alma Richters auf. Pfannenstiel machte Meldung: »Alle Stewards zur Stelle, gnädige Frau!«
Alma Richter musterte mit kritischem Blick Mann für Mann. Dann schnellte ihr knorriger Zeigefinger vor und zeigte auf vier Stewards: »Sie … und Sie, Sie auch und Sie! Die anderen können gehen. Danke!« Sie wartete, bis sich die abgelehnten Stewards mit breitem Grinsen entfernt hatten, stand dann auf, ging um die vier Ausgewählten herum, spreizte einmal die Hände und nahm am Rücken Maß vom Kragen bis zur Taille und kehrte dann auf ihren Sessel zurück. »Es könnte passen«, sagte sie zufrieden. »Sie haben fast die gleiche Figur wie Ulrich. Dieselbe Größe. Kommen Sie mit zu mir; ich schenke Ihnen die Hemden, Unterhosen und die Anzüge meines Mannes. Es hat doch keinen Sinn, sie wieder zurück nach Deutschland mitzunehmen. Es sind gute Anzüge. Sie werden Ihre Freude daran haben …«
Am Abend wußte das ganze Schiff, daß Alma Richter die Anzüge ihres Mannes an die Stewards verschenkt hatte. Man erzählte sich auch, daß sie in der Kabine beim Verteilen gesagt haben soll: »Rechnen Sie das bitte vom Trinkgeld ab. So gute Anzüge übersteigen jeden Betrag, den Sie für Ihre Dienste erhoffen könnten.«
Ob wahr oder nicht wahr – man traute es ihr jedenfalls zu. Es wurde eine Geschichte, die man später fast jedem erzählte, der mit der Atlantis fuhr. Unbekannt blieb, ob jemals einer der beschenkten Stewards einen Anzug des toten Ulrich Richter getragen hat. Als Teyendorf von der Verteilung des Erbes erfuhr, sagte er zu Willi Kempen resignierend: »Ich glaube, ich nehme den armen Ulrich doch bis Sydney mit.«
Um fünf Uhr früh, weitere siebzehn Tage nach dem Märchen der schönsten Insel der Welt, Bora-Bora, nach dem Eiland Niué mit seinen freundlichen, fröhlichen Menschen, nach Tonga mit einem in die Höhlen der Küstenfelsen hineingeschlagenen Restaurant und dem weißen
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