Prophezeiung der Seraphim
er jetzt?«
Fédéric zuckte die Achseln. »Streift irgendwo draußen herum, aber zum Mittagessen wird er schon auftauchen.«
»Ich denke, du solltest jetzt aufstehen«, unterbrach die Einsiedlerin ihr Gespräch. »Besser, man liegt nicht länger als nötig nutzlos herum.«
Julie lächelte. Ähnliches hatte auch Gabrielle oft gesagt.
Mathilde scheuchte Fédéric hinaus und rieb ihr mit einem feuchten Tuch Körper und Gesicht ab. Anschließend gab ihr die Heilerin eines von ihren eigenen Gewändern, mehr ein langes Hemd als ein Kleid, dessen einzige Verzierung ein geflochtener Gürtel war.
Dann lud Mathilde sie ein, sich an den Tisch zu setzen. Es gab eine Suppe mit Gemüse und Hühnerfleisch. Ihr köstlicher Duft stieg in Julies Nase, und sie merkte erst jetzt, wie ausgehungert sie war. Obwohl sie versuchte, mit Anstand zu essen, statt über die Schale herzufallen, gelang ihr das nur teilweise. Fédéric kam wieder herein, setzte sich ihr gegenüber und grinste. »Du isst wie ein Schweinchen.«
Julie streckte ihm nur kurz die Zunge heraus, sie war viel zu gierig, um innezuhalten. Die Suppe war das Köstlichste, was sie je ge gessen hatte. Nachdem sie die zweite Schale geleert hatte, fühlte sie sich kräftiger. Mit einem zufriedenen Seufzer lehnte sie sich zurück und Songe sprang auf ihren Schoß, wo sie sich zusammenrollte.
»Wie habt ihr eigentlich hierhergefunden?«, fragte Julie, während ihre Finger Songes Kopf kraulten. »Ich kann mich an nichts mehr erinnern.«
»Javier hat Nicolas den Weg beschrieben, bevor er …« Fédéric blickte vor sich auf die Tischplatte. »So eine dreimal beschissene Scheiße«, murmelte er, »ich mochte ihn richtig gerne.«
»Ich auch«, sagte Julie und legte eine Hand auf die seine. »Ohne ihn wären wir niemals bis hierher gekommen.«
Fédéric hob den Kopf und sah sie an. »Gerade deswegen dürfen wir jetzt nicht aufgeben!« Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich kann einfach nicht glauben, dass wir all das mitgemacht haben, nur um kurz vor dem Ziel alles hinzuwerfen.«
Songe, was soll ich nur machen?
Aber die Katze schwieg, öffnete nicht einmal ein Auge.
Julie dachte an Jacques und Gabrielle. Sie hatten gewollt, dass sie kämpfte. Jacques hatte dieses eigenartige Gerät für sie entworfen. Und nun war sie die Einzige, die den Erzengel noch aufhalten konnte. Dass sie den Überfall der Cherubim am Turm Ruben zu verdanken hatten, stand außer Zweifel, und Alis würde ihr sicher Einzelheiten berichten können. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, was sie wollte, sondern auf das, was getan werden musste.
»Du hast recht. Wir machen weiter.«
»Na endlich nimmst du Vernunft an«, sagte Fédéric.
Du hast dich richtig entschieden, kam es von Songe.
Warum hast du mir keinen Rat gegeben?
Weil du allein verantwortlich für alle Folgen bist, die deine Entscheidung hat.
Mathilde hatte das Gespräch zwischen Fédéric und Julie mitgehört und setzte sich nun ebenfalls auf die Holzbank. »Der Herzkristall ist mein kostbarster Besitz«, sagte sie. »Doch ich bin bereit, ihn dir zu überlassen. Ich habe keine Händel mit den Seraphim, doch ich mag die Erneuerer nicht. Sie haben mit den Menschen nichts Gutes im Sinn und achten nicht die Kräfte der Natur.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll … Du bist sehr großzügig.« Julie spielte nervös mit dem fransigen Ende ihres Gürtels. Mathilde hob die Hand. »Warte! Umsonst gebe ich den Kristall nicht her.«
Julie nickte schweigend und wartete, dass die Hexe ihren Preis nannte. Goldstücke würden es bestimmt nicht sein. Mathildes Gesicht blieb unbewegt, als sie weitersprach. »Vor einiger Zeit habe ich etwas für mich sehr Wertvolles verloren, beinahe ebenso wertvoll wie der Kristall. Ich habe gehört, dass jemand, der dir nahestand, vor Kurzem gestorben ist – das könnte dich dazu befähigen, mir diesen Gegenstand wiederzubeschaffen. Doch es ist gefährlich, und möglicherweise wirst du nicht zurückkehren.«
»Ich begleite sie«, warf Fédéric ein, aber die Hexe schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht. An diesen Ort muss sie alleine gehen.«
Julie schluckte. »Wenn du uns dafür den Herzkristall überlässt, mache ich es, was immer es sein mag.«
Mathilde musterte sie und lächelte leicht. »Ich wusste, dass du eine mutige, junge Frau bist.«
Nachdem Mathilde erklärt hatte, worin ihre Aufgabe bestehen würde, wollte Julie einige Zeit alleine sein. Sie trat vor die Tür und fand sich in einem
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