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Jugend

Jugend

Titel: Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Conrad
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Band 386 der Bibliothek Suhrkamp

    Joseph Conrad  
    Jugend

    Ein Bericht

    Mit einem Essay von Erich Franzen ›Über Joseph Conrad‹

    Suhrkamp Verlag
    Die englische Originalausgabe erschien 9 unter dem
Titel »Youth: A Narrative«
Deutsch von Fritz Lorch

    Erste Auflage in der Bibliothek Suhrkamp 973
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des
S. Fischer Verlages, Frankfurt am Main
© Deutsche Ausgabe: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 968
Der Essay Über Joseph Conrad wurde entnommen aus
Erich Franzen: Auflärungen, erschienen als Band 66 der
edition suhrkamp
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 964
Alle Rechte vorbehalten
Druck: Poeschel & Schulz-Schomburgk, Eschwege
Printed in Germany

    Jugend
    Ein Bericht

    Dies hätte sich nirgends sonst als in England zutragen können, wo sozusagen Menschen und Meer einander wechselseitig durchdringen – wo das Meer in das Leben der meisten Menschen eingreif und wo die Menschen auf dem Weg des Vergnügens, des Reisens oder des Broterwerbs manches oder alles über das Meer erfahren.
    Wir saßen um einen Mahagonitisch, in welchem sich die Flasche, die Rotweingläser und, da wir die Ellbogen aufstützten, unsere Gesichter spiegelten. Unsere Runde bestand aus einem Direktor von Handelsgesellschafen, einem Bücherrevisor, einem Rechtsanwalt, Marlow und mir. Der Direktor war Schiffsjunge auf der Conway gewesen, der Bücherrevisor war vier Jahre zur See gefahren, der Rechtsanwalt – ein eingefleischter Tory, Anhänger der Hochkirche, der feinste alte Kerl, die Ehrenhafigkeit in Person – war Erster Offizier bei der P. & O. Linie gewesen, in jenen guten alten Zeiten, als die Postdampfer noch mindestens zwei vollgetakelte Masten hatten und die China-See bei günstigem Monsun mit allen Leesegeln im Topp herunterzulaufen pflegten. Wir alle hatten das Leben in der Handelsschiffahrt begonnen. Zwischen uns fünfen bestand das starke Band der See und dann auch jene Kameradschaf des Seemannsberufes, wie keine Begeisterung für Jachtsegeln, für Vergnügungsfahrten und ähnliches, sie herzustellen vermag, da das eine nur die Kurzweil des Lebens und das andere das Leben selbst ist.
    Marlow (ich glaube wenigstens, er schrieb sich so) erzählte die Geschichte, oder besser, die Chronik einer Reise:
    »Ja, ich habe ein bißchen von den Östlichen Meeren gesehen; am besten aber erinnere ich mich an meine erste Reise dorthin. Ihr, meine Freunde, wißt ja, daß es Reisen gibt, die wie zur Illustrierung des Lebens geschaffen sind, die als Sinnbild des Daseins gelten könnten. Man kämpf, arbeitet, schwitzt, bringt sich fast um, bringt sich zuweilen wirklich um, in dem Versuch, etwas zu leisten – und vermag es doch nicht. Ohne daß man schuld daran hätte. Man kann einfach nichts tun, weder Großes noch Kleines – nichts auf der Welt – nicht einmal eine alte Jungfer heiraten oder eine elende Fracht von sechshundert Tonnen Kohle an ihren Bestimmungshafen bringen.
    Es war durchaus eine denkwürdige Angelegenheit. Es war meine erste Reise in den Osten und meine erste Reise als Zweiter Offizier; es war auch das erste Kommando meines Kapitäns. Ihr werdet zugeben, daß es langsam Zeit wurde. Er war beinahe sechzig Jahre alt; ein kleiner Mann mit einem breiten, nicht sehr geraden Rücken, mit hängenden Schultern und einem Bein krummer als das andere; und er hatte jenes wunderlich knorrige Aussehen, dem man of bei Männern begegnet, die auf dem Felde arbeiten. Er besaß ein Nußknakkergesicht – Kinn und Nase hatten das Bestreben, über einem eingesunkenen Mund zusammenzustoßen –, umrahmt von eisgrauem Flaum, der sich ausnahm wie ein mit Kohlenstaub gesprenkelter Kinnriemen. Und in diesem alten Gesicht hatte er blaue Augen, erstaunlich jungenhaf und mit jenem offenen Ausdruck, den sich zuweilen ganz gewöhnliche Menschen dank einer seltenen Gabe der Redlichkeit und Herzenseinfalt bis ans Ende ihrer Tage bewahren. Was ihn bewog, mich anzunehmen, war mir ein Rätsel. Ich kam von einem der grandiosen Austral-Klipper, auf dem ich Dritter Offizier gewesen war, und er schien ein Vorurteil gegen solche Klipper zu haben, die ihn aristokratisch und protzig dünkten. Er sagte zu mir: ›Wohlgemerkt, auf diesem Schiff werden Sie arbeiten müssen.‹ Ich erwiderte, ich hätte auf sämtlichen Schiffen arbeiten müssen, auf denen ich bisher gewesen. ›Ah, aber das hier ist etwas anderes, und ihr feinen Herren von den großen Schiffen; … nun! Ich denke, Sie werden’s schon

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