Psalms of Isaak 01. Sündenfall
ritt tief in den Sattel geduckt und spürte, wie der Wind an seinem Umhang und seinem Haar zerrte. Er atmete den Duft des Waldes ein, den Geruch des Pferdes und den Geruch der Ebenen vor ihm.
Als er den alten Mann und sein altes Pferd zwei Meilen weit draußen in der Prärie erblickte, tastete er nach dem Griff seines schmalen Schwertes und schnalzte mit der Zunge, um sein Pferd noch schneller anzutreiben. Er stürmte weiter, überholte Petronus und ließ sein Reittier herumwirbeln. Er riss die Klinge heraus und deutete mit der Spitze auf den alten Mann.
Petronus sah auf, und Rudolfo senkte sein Schwert, als er den Ausdruck von Niedergeschlagenheit auf dem Gesicht des Alten erkannte. Diese blutunterlaufenen Augen – sie sahen viel zu sehr nach dem roten Himmel aus, den er über den rauchenden Ruinen und geschwärzten Knochen Windwirs erblickt hatte.
Der alte Mann sagte nichts.
Rudolfo ließ den Hengst herantänzeln, um eine Frage zu stellen, deren Antwort er bereits kannte. »Warum?«
»Ich habe getan, was ich tun musste.« Petronus’ Kiefermuskeln spannten sich. »Denn wenn ich es nicht getan hätte, wäre alles, was ich sonst getan habe, eine Lüge gewesen.«
»Wir tun alle, was wir müssen.« Rudolfo steckte sein Schwert zurück in die Scheide, all sein Zorn sickerte aus ihm heraus. »Seit wann habt Ihr es gewusst? Wann habt Ihr Euch für diese Vorgehensweise entschieden?«
Petronus seufzte. »Ein Teil von mir hat es gewusst, als ich die Rauchsäule erblickte. Ein anderer Teil wusste es, als ich den Acker aus Knochen und Asche sah.«
Rudolfo dachte darüber nach und nickte langsam, auf der Suche nach den richtigen Worten. Als er sie nicht finden konnte, trieb er sein Pferd an und ließ den alten Mann mit seinen Tränen allein.
Rudolfo galoppierte über die Ebenen, bis der Mond aufging und die Sterne die warme, dunkle Nacht zerstreuten. Nach einiger Zeit fiel alles von ihm ab bis auf ein falsches Gefühl von Freiheit, das Rudolfo für den Augenblick in die Arme schloss, weil er wusste, dass es bald wieder vergehen würde. Er stürmte durch die Dunkelheit, spürte, wie sich der Hengst unter ihm bewegte, hörte seine Hufe auf dem Boden und das Schnauben seines Atems. Es gab nur ihn und das Pferd und die Weite der offenen Prärie, ohne ein Haus Li Tam, ohne eine Bibliothek oder Androfranziner, ohne Hochzeiten und Erben. Und obwohl er wusste, dass es falsch war, ehrte Rudolfo diese Lüge, bis er den Wald zu seiner Rechten sah. Dann bremste er den Hengst und wandte sich den Bäumen zu, glitt aus dem Sattel und führte das Pferd zu Fuß zurück in die Richtung, in der die Wahrheit lag.
Er nahm die weniger vertrauten Pfade und dachte über sein Leben nach. Er dachte an die Tage vor Windwirs Fall und an die Tage danach. Er dachte an Nächte, die er im Nachschubwagen verbracht hatte, weil er ihm lieber gewesen war als ein Bett. Er dachte an Tage, die er im Sattel anstatt in seinem Schreibzimmer verbracht hatte. An Betten, die er mit mehr Frauen geteilt hatte, als er zählen konnte, und an die eine Frau, von der er gewusst hatte, dass er sie haben musste.
Mein Leben hat sich verändert, sagte er sich, und ihm wurde klar, dass das nicht der Fall gewesen wäre, wenn er es nicht so gewollt hätte. Er hatte sich dafür entschieden, die Bibliothek wiederaufzubauen, um das Gute daraus – Philosophie, Kunst, Schauspiel, Geschichte, Lyrik und Musik – für die Welt zu erhalten. Er hatte sich auch dafür entschieden, sich mit Jin Li Tam zu verbinden, einer schönen und beeindruckenden Frau, die er heute respektieren konnte und eines Tages lieben würde. Sie beide würden ein Leben erschaffen, das, wenn es nach Rudolfo ging, genauso beeindruckend und schön sein würde. Und er würde das Licht erben und sein Hirte sein, genauso wie sein Vater.
Rudolfo dachte an all diese Dinge, und er dachte an den alten Mann, der sich auf den Weg zur Küste machte, während Tränen seinen weißen Bart benetzten. Er dachte an seinen Freund Isaak, der auf seinem verstümmelten Bein umherhumpelte und einen Androfranzinertalar trug. Er dachte an den Jungen, Neb, der sich erhoben hatte, als Petronus darum gebeten hatte, jemand möge für das Licht töten. Er dachte an Vlad Li Tam und seinen Scheiterhaufen, auf dem die Aufzeichnungen vom Werk seiner Familie verbrannten.
Die Verheerung von Windwir hat uns alle erreicht, dachte er.
Es spielte keine Rolle mehr, weshalb. Es ging nur darum, dass es niemals wieder geschah. Und Rudolfo sah
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