Psalms of Isaak 01. Sündenfall
ihrem Herzen war, bis sie sich nach der Rückkehr des Zorns sehnte. Unausweichlich kehrte die Flut zurück, um sie wieder ganz und gar zu erzürnen.
Aber plötzlich, jetzt, am Ende von allem, war es, als wären sowohl der Zorn als auch der Kummer wegen ihres Vaters unter der Klinge von Petronus’ Messer verflogen. Rudolfo hatte ihr einst gesagt, dass die Menschen ihr Leben damit verbrachten, mit tausend unbedeutenden Ungerechtigkeiten fertig zu werden, und man manchmal, wenn man sah, wie ein großes Übel mit Gerechtigkeit vergolten wurde, ein Stück auf dem Pfad weiterkam, auf dem man stecken geblieben war. Der plötzliche Tod, sowohl der Sethberts als auch der des Androfranzinerordens, ließ sie ausgehöhlt und verbraucht zurück, und sie dachte nur noch an die bessere Welt, die sie ihrem Kind zu geben hoffte.
Sie ließ sich Zeit damit, in die Waldresidenz zurückzukehren. Sie wusste, dass sie auf Rudolfo warten sollte, aber sie verspürte eine plötzliche Sehnsucht nach Einsamkeit, und sie wusste, dass seine Pflichten in dieser Nacht erst begannen. Es würde zu einem Aufruhr kommen, den er ersticken musste, Ängste würden entstehen, die er besänftigen musste, und Versprechen waren vonnöten, die er den wenigen geben musste, die von P’Andro Whyms Geschlecht noch übrig waren.
Es war schon fast dunkel, als sie den verborgenen Eingang in der Nähe des hinteren Gartens erreichte und innehielt: Die Tür war offen, und eine Gestalt stand in den Schatten des Geheimgangs. Sie näherte sich und blieb wieder stehen, plötzlich ängstlich und unsicher und allein.
Ihr Vater löste sich aus den Schatten, in das tiefe Grau eines Archäologentalars gekleidet. Er sagte nichts, sein Gesicht war eine verhärmte, undurchdringliche Maske, doch seine Augen waren sanft. Sie sprach nicht, ganz sicher, dass ihr Gesicht dem seinen glich, und genauso sicher, dass ihre Augen es nicht taten. Sie hatte immer geglaubt, dass sie bei seinem Anblick wieder den gleichen Zorn spüren würde, doch jetzt fühlte sie rein gar nichts.
Ihre Blicke trafen sich, und ihr Vater nickte einmal langsam. Dann ging er an ihr vorbei, seine Schulter streifte dabei die ihre. Sie wandte sich um, um ihn fortgehen zu sehen, und dachte, dass seine Schritte langsamer und weniger selbstsicher waren.
Sie zog in Erwägung, nach ihm zu rufen, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Stattdessen beobachtete sie, wie er fortging, und nachdem er weg war, ging sie in ihr neues Heim und schloss die Tür hinter sich. Sie musste sich ein Leben mit Rudolfo und ihrem ungeborenen Sohn aufbauen.
Es war erst sehr viel später, dass sie die Nachricht ihres Vaters fand. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, danach zu suchen, obwohl sie sich nicht an eine einzige Gelegenheit erinnern konnte, zu der er es versäumt hatte, ihr eine Botschaft zu hinterlassen. Sie war einfach – rasch und ohne Verschlüsselung hingekritzelt.
Für meine zweiundvierzigste Tochter , lautete die Überschrift, zur Feier ihrer Vermählung und Geburt ihres Sohnes Jakob.
Es war ein Gedicht über die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter. Am Ende segelte der Vater in die wartende Nacht hinaus, und die Tochter erlernte eine neue Lebensweise.
Neb
Die Menge erfasste Neb und bewegte ihn weiter. Als er sich wieder von ihr lösen konnte, hatten die meisten den Pavillon verlassen, um sich auf dem Feld davor zu versammeln. Stimmen summten, erhoben sich und schwollen immer lauter an. Er blieb am Eingang und beobachtete, wie Rudolfo mit einer Handvoll androfranzinischer Bischöfe sprach, noch während die Zigeunerspäher Sethberts Leiche auf eine Bahre luden, um sie wegzubringen.
Ich hätte es für Euch tun können, dachte er. Aber er wusste, dass Petronus seine Toten auf seine Art begrub und dass er für Neb Besseres im Sinn hatte. Genauso wie er auch wusste, dass der alte Mann Sethbert ebenso wenig hatte töten wollen, wie er den Ring hatte zurücknehmen wollen.
Wir tun, was getan werden muss.
Isaak humpelte aus dem Pavillon. »Bruder Nebios«, sagte er. »Habt Ihr Vater Petronus gesehen?«
Petronus hatte diesen Titel nicht mehr inne, aber Neb besaß nicht den Mut, Isaak daran zu erinnern. Stattdessen schüttelte er den Kopf. »Er ist schnell gegangen.«
Isaaks Augen flatterten und blitzten auf. »Die Ereignisse dieses Tages erschrecken mich.«
Neb nickte. »Mich auch, Isaak.«
Isaak fuhr fort: »Ich weiß, dass das, was ich gesehen habe, falsch war. Ich weiß, dass es gegen die Lehren des
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