Psychologische Homöopathie

gerät er in die Versuchung, alles mögliche auszuprobieren, sei es nun sozial akzeptiert oder nicht, nur um zu erleben, wie es ist. Der Ursprung der Arznei selbst ist eine Erinnerungshilfe: Die Gonorrhoe-Infektion wird gewöhnlich erworben, indem man sich seiner Lust auf erregende sinnliche Erfahrungen hingibt. (Während die Infektion mit Gonorrhoe einen Medorrhinum-Zustand auf eine andere Konstitution aufpfropfen kann, hat die Mehrzahl der Medorrhinum-Menschen ihre Konstitution geerbt, wahrscheinlich als Folge einer Gonorrhoe-Infektion der Vorfahren.)
    Medorrhinum-Typen sind Abenteurer. Einige erforschen die materielle Welt und trinken als Globetrotter furchtlos den Nektar neuer Erfahrungen. Andere erforschen die Welt der Gefühle, indem sie eine intensive Beziehung nach der anderen eingehen, oft mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten. Wieder andere erforschen das weite Feld der geistigen Vorstellungen und verschlingen Philosophien mit demselben Eifer wie wissenschaftliche Theorien und Entwicklungen. Und manche schließlich unternehmen berauschende Ausflüge in die Reiche der Phantasie und der mystischen Einsichten. Die meisten Medorrhinum-Typen sind begeisterte Abenteurer im Hinblick auf alle Aspekte des Lebens, bereit, vom Unbekannten zu Iernen, und zuversichtlich, daß sie alle Gefahren bestehen werden.
    Auf meiner Reise durch Kalifornien sind mir weit mehr Medorrhinum-Typen begegnet als während der Zeit, in der ich in England praktiziert habe. Diefrühen nordamerikanischen Siedler haben sich von Osten nach Westen über den Kontinent ausgebreitet und Gemeinschaften gebildet, die sich nach ihrer Abenteuerlust unterscheiden lassen, wie etwa Elektrophorese-Streifen, die Proteine entsprechend ihrem Molekulargewicht anordnen, wobei das leichteste sich am weitesten bewegt. Die Pioniere, die es bis zur Westküste schafften, waren Abenteurer und Opportunisten, deren Lebenshunger sich auf emotionale und materielle Erfahrungen bezog. Viele von ihnen müssen Medorrhinum-Typen gewesen sein, die zusammen mit dem idealistischen Sulfur und dem entschlossenen Nux vomica ein neues Leben voller Freiheit und Großzügigkeit suchten, ohne die Einschränkungen der Vergangenheit.
Das Medorrhinum-Kind
    Alle Kinder sind Abenteurer, die ihren Horizont mit jeder neuen Erfahrung erweitern. Aber das Medorrhinum-Kind ist ganz besonders scharf auf Abenteuer und ständig auf der Suche nach mehr Informationen über die Welt, die es umgibt. Es erreicht die Meilensteine seiner Entwicklung meist recht früh, denn es hat es eilig damit, seine Umgebung mehr und mehr zu erforschen. Fast jedes Medorrhinum-Kind, das ich gesehen habe, war auf gewisse Weise frühreif. Bei den meisten sind die verbalen Fähigkeiten besonders gut entwickelt, und das gilt nicht nur für den Wortschatz und die Aussprache. (Ich fuhr einmal auf dem Rad durch die nepalesische Hauptstadt und hatte dabei ein entzückendes dreijähriges Medorrhinum-Mädchen auf meinem Rücken. Sie war Dänin und schien nichts von dem, was ich sagte, zu verstehen. Ich schwatzte trotzdem mit ihr, um freundlich zu sein und damit sie sich wohl fühlte. Als ich am Ende eines Satzes eine Pause machte, versetzte sie mich in Erstaunen, indem sie ein perfekt ausgesprochenes »Kathmandu« vor sich hin brabbelte.) Frühreif ist oft auch das Sozialverhalten. Als ich gegenüber einem fünf Jahre alten Medorrhinum-Jungen erwähnte, ich sei müde, weil ich schlecht geschlafen hätte, antwortete er beiläufig: »Ja, das kommt manchmal vor.«
    Medorrhinum-Kinder gehören zu den furchtlosesten. Sie sind nicht schüchtern und reden meist gerne mit völlig fremden Menschen, sofern sie nett wirken. Überflüssig zu sagen, daß diese Furchtlosigkeit den Eltern einige Kopfschmerzen macht. Das Medorrhinum-Kind fragt einem mit seinem unaufhörlichen Strom von »Warums« Löcher in den Bauch und untersucht seine direkte Umgebung mit unermüdlichem Eifer. Es mag keine Einschränkungen und wird elterliche Verbote notfalls ignorieren. Wird es dabei erwischt,hat es meist eine passende Rechtfertigung für seinen Ungehorsam parat oder erschmeichelt sich die Gunst der Erwachsenen von neuem, indem es aufgeregt über seine jüngsten Entdeckungen berichtet. Solche Kinder sind meist eine reine Freude, aber ihre grenzenlose Energie in Verbindung mit ihrer Hartnäckigkeit beim Fragen und Erforschen kann manchmal auch recht anstrengend sein. Ein solcher Dreijähriger schrie ständig vor Entzücken, während er um ein Gemüsebeet