Psychologische Homöopathie
hat deshalb meist Verständnis dafür, wenn ihr Partner dasselbe tut. Trotz ihrer vielen positiven Eigenschaften sind Medorrhinum-Typen nicht sehr stolz und haben wenig Sinn für Menschen, die es sind. Weniger selbstsichere Bekannte fühlen sich in ihrer Gesellschaft selten unwohl. Erwartungsgemäß ist der Medorrhinum-Mann etwas selbstzufriedener als die Frau, aber das ist in der Regel subtil und äußert sich eher als scherzhaftes Selbstlob und weniger als echte Prahlerei.
Hellsichtigkeit, Angst und »Abgehobenheit«
Bisher erinnert unsere Analyse der Medorrhinum-Psyche kaum an die kurzen Skizzen in den klassischen Arzneimittellehren. Diese konzentrieren sich nämlich fast ausnahmslos auf die extrem negativen Charakteristika und vermitteln deshalb nur eine sehr unzureichende Vorstellung der Gesamtpersönlichkeit. Wenn wir nun jedoch die hellseherischen Fähigkeiten von Medorrhinum und die damit verbundenen Ängste berücksichtigen, wird sich der Student der klassischen Homöopathie auf vertrauterem Boden fühlen.
Wie Phosphor, Lachesis, Ignatia und China verfügt Medorrhinum über viel Intuition und Phantasie und neigt zu echter Hellsichtigkeit (Zukunftsvorhersagen, Telepathie, präkognitive Träume). Jede grundlegende Untersuchung der menschlichen Psyche zeigt, daß es solche Fähigkeiten gibt, und für diejenigen, die daran zweifeln, kann ich nur den Meister der Menschenkenntnis, William Shakespeare, zitieren: »Es gibt mehr Ding im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt.«
Die mehr prosaische Form der Vorstellungskraft von Medorrhinum ist Tagträumerei. Einige der trägeren Medorrhinum-Patienten, die ich behandelt habe, und auch einige der unglücklicheren hatten eine starke Tendenz zu Tagträumen. Ein junger Mann, den ich wegen eines schweren Ekzems behandelthabe, war unglücklich, weil er einen sehr strengen Vater hatte, der sich ständig mit der Mutter stritt. Der etwa siebzehnjährige Patient erzählte mir, er verbringe viel Zeit mit Tagträumen über phantastische Schlachten zwischen Zauberern, Drachen und Kriegern, die mit magischen Waffen ausgerüstet seien. Er hatte diese Phantasiebilder völlig unter Kontrolle, anders als Stramonium mit seinen beängstigenden Visionen. Andere geraten in eine Art losgelösten Zustand, in dem sie sich weit entfernt von allem fühlen (Kent: »alles scheint unwirklich«). Darüber berichten Medorrhinum-Patienten häufig, und es kann sogar ihre Hauptbeschwerde sein. Die Empfindung wird auf unterschiedliche Weise beschrieben. Einige sagen, sie hätten ein benommenes Gefühl im Kopf, während andere es als ein Gefühl beschreiben, als seien sie weit weg von allem und würden aus einer anderen Dimension Zeuge ganz normaler Ereignisse. Wieder andere sagen, sie fühlen sich »abgehoben« oder »entrückt«, und wollen damit ausdrücken, daß sich ihr Bewußtsein erweitert. Dieses Gefühl, weit weg zu sein und sich auszudehnen, ist sehr charakteristisch für Medorrhinum, vor allem in Streßzeiten. Ähnliche Zustände werden von Alumina beschrieben, aber diese sind im allgemeinen ernster und dauern länger. Der Alumina-Patient erlebt die Welt nicht aus einer gewissen Entfernung, sondern hat eher das Gefühl, nicht wirklich dazusein. Cannabis-indica-Fälle können schwerer von Medorrhinum zu unterscheiden sein, weil sie einen ähnlichen Zustand von Abgehobenheit und Ausdehnung beschreiben. Ein Mensch, der Cannabis indica braucht, hat in der Regel jedoch grundsätzlichere geistige Störungen, die an einen Zustand chronischer Vergiftung mit starker Erregung erinnern, mit Halluzinationen und Wahnideen, wie sie auch bei einer tatsächlichen Cannabis-Vergiftung vorkommen.
Die Tendenz zum »Abheben« führt bei Medorrhinum zu einer sehr charakteristischen Furcht davor, wahnsinnig zu werden. Mir ist zwar noch nie ein Medorrhinum-Mensch begegnet, der tatsächlich geisteskrank geworden wäre, aber viele haben Angst davor. Eine Medorrhinum-Freundin sagte mir, wenn sie die Milchflaschen vor der Tür aufheben würde und sie dann losließe und zusähe, wie die Milch und das Glas hinfallen, wüßte sie, daß sie verrückt geworden sei. Sie war geistig vollkommen gesund und zeigte keine äußeren Zeichen von psychischer Labilität. Oft erlebte sie eine ziemlich verbreitete Form der Intuition, indem sie kurz vor dem Telefonklingeln wußte, daß ein guter Freund sie anrufen würde.
Mit dieser Angst, verrückt zu werden (Kent: »fürchtet, den Verstand zu verlieren«), ist ein
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