Psychologische Homöopathie
Gefühl der »Wildnis« im Kopf verbunden. Genauso beschreibt Medorrhinum es gewöhnlich. Besonders häufig tritt es in Streßphasenauf, kann aber auch zu jeder anderen Zeit vorkommen. Dieses Gefühl der Wildnis hat anscheinend etwas mit der Abenteurernatur des Typs und auch mit dem Ursprung der Arznei zu tun. Es ist so, als werde das Bewußtsein mit verschiedenen Erfahrungen überlastet und flüchte sich dann in ein anderes, erweitertes, aber chaotisches Reich. Solche Erfahrungen kann jeder Konstitutionstyp machen, wenn er Drogen nimmt, die Halluzinationen auslösen, aber Medorrhinum braucht dafür keine Drogen. Es überrascht nicht, daß Medorrhinum sehr empfindlich auf Drogen reagiert und sehr schnell »high« wird, sowohl von Alkohol als auch von anderen enthemmenden Substanzen.
Ein Charakteristikum von Medorrhinum, das diagnostisch Gold wert ist, wenn der Patient es von sich aus erwähnt, aber nahezu wertlos, wenn es aufgrund einer gezielten Nachfrage angegeben wird, ist das Gefühl, daß in der Dunkelheit jemand hinter einem steht oder geht. Dieses Gefühl ist bei Medorrhinum sehr verbreitet und kann manchmal so stark sein, daß der Betreffende nachts nicht alleine aus dem Haus geht. Ein anderes verwandtes Gefühl ist die Tendenz, im Dunkeln Gesichter zu sehen, die gar nicht da sind. Dabei handelt es sich selten um lebhafte Halluzinationen, wie Stramonium oder Hyoscyamus sie haben, sondern eher um das Ergebnis einer lebhaften Phantasie, die Schatten falsch interpretiert, ganz ähnlich, wie es auch bei Phosphor passieren kann. Genau diese Erfahrungen sind es, die Medorrhinum in seiner Angst vor dem Wahnsinn bestätigen und deshalb das Gefühl der Wildnis im Inneren erhöhen. Diese ungewöhnlichen Wahrnehmungen kommen bei Medorrhinum-Frauen häufiger vor als bei den Männern. Sie sind Ausdruck eines ständig vorhandenen allgemeinen Angstpegels. Die meisten Medorrhinum-Männer sind mehr oder weniger furchtlos, wie Sulfur und Nux. Viele der Frauen leiden jedoch unter einem gewissen Maß an Ängsten, die gewöhnlich irrationaler Art sind und sich nicht auf irgendwelche konkreten Gefahren beziehen. In diesem Sinne leidet Medorrhinum auch unter Erwartungsangst. Während Lycopodium, Argentum und Silicea sich Sorgen machen, wenn sie irgendeine Leistung erbringen sollen, hat Medorrhinum Angst vor größeren Ereignissen im Leben wie beispielsweise einer Heirat oder einem Umzug. Es ist nicht die Angst zu versagen, sondern eher das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, das zu der irrationalen Furcht führt, irgend etwas Schreckliches könnte passieren (Kent: »Gefühl der Angst beim Erwachen, als ob etwas Furchtbares passiert wäre«). Diese Angst, die Kontrolle zu verlieren, findet man auch bei Phosphor, und sie hat in beiden Fällen denselben Ursprung, ein überempfindliches Bewußtsein, das stärker als bei den meisten Menschen offen ist für das, was C. G. Jung das »kollektive Unbewußte«genannt hat. Das Symbol dafür ist das Meer, und ich habe mehrere Medorrhinum-Frauen erlebt, die Angst vor tiefem Wasser hatten, obwohl sie schwimmen konnten.
Es ist gut bekannt, daß Medorrhinum sich nach Sonnenuntergang besser fühlt. Das gilt nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Genauer gesagt schaltet Medorrhinum bei Sonnenuntergang vom rationalen, objektiven Modus auf einen mehr spontanen, lyrischen und romantischen Modus um. In solch einem Zustand sieht er die Welt stärker aus der Perspektive eines Dichters oder Künstlers und ist nicht mehr geneigt, logischen Gedankengängen zu folgen (Kent: »Abneigung gegen geistige Arbeit«, »Heiterkeit am Abend«). Er ist vielleicht mit einer Büroarbeit von neun bis fünf recht glücklich, solange er abends abschalten und die Schönheit des Lebens genießen kann.
Dieser erweiterte, nichtrationale Teil der Erfahrungen von Medorrhinum ist meist sehr angenehm (wenn er keine Ängste auslöst) und führt dazu, daß Medorrhinum in den Regel optimistisch ist. Dieser Optimismus ist im allgemeinen wohlbegründet, denn mit seiner Vielseitigkeit und einem guten Schuß gesunden Menschenverstandes führt Medorrhinum meist ein angenehmes Leben und vermeidet die Fallstricke, in denen sich der stärker beeinflußbare Phosphor immer wieder verfängt.
Eine Schwäche von Medorrhinum hängt mit der Tendenz zu geistiger Abgehobenheit zusammen. Sie führt dazu, daß Medorrhinum häufig Worte, vor allem Substantive, vergißt (Kent: »vergißt seinen eigenen Namen«). Wie Phosphor lebt Medorrhinum
Weitere Kostenlose Bücher