Psychologische Homöopathie
Seine Erscheinung ist außerordentlich merkurisch. Er ist nicht nur schön, zierlich und sehr jugendlich, sondern er verändert sich auch von Woche zu Woche. Er ist von seinem Äußeren so besessen, daß er sein Gesicht zum Spiegelbild des Gesichts seiner Schwester umgestaltet hat. Außerdem wirkt er im echten Mercurius-Stil halb weiß und halb schwarz, halb männlich und halb weiblich, halb wie ein Mensch und halb wie ein Kobold. Auf der Bühne wirkt er wie elektrisiert in seiner Beweglichkeit. Er hypnotisiert das Publikum mit seinem Moonwalk, der so aussieht, als gehe er gleichzeitig vorwärts und rückwärts. Mit Hilfe von besonderen Computereffekten vervollständigt er die Illusion, indem er sich vor unseren Augen in einen Panther verwandelt. Als Jackson 1994 im Fernsehen auftrat, um auf die Kritik der Presse zu antworten, die ihn als Monster dargestellt hatte, tat er wenig, um diesen Eindruck zu korrigieren. Er erschien als zarte, geisterhafte Gestalt mit einer weichen Mädchenstimme, fühlte sich mißverstanden, wollte nur lieben und von allen geliebt werden. Er sei immer geschminkt, so ließ er wissen, weil sein Gesicht weiße Flecken habe. Tatsächlich haben einige Mercurius-Menschen körperliche Zeichen ihrer dualen oder multiplen Natur. So hat beispielsweise einer meiner Mercurius-Patienten Pupillen, die ganz unterschiedlich groß sind. Bei all seiner Fremdartigkeit und seiner zurückhaltenden Isolation ist Jackson ein brillanter, kreativer Musiker. Vielleicht hatte er recht, als er so unschuldig und ernsthaft sagte, Gott habe ihm seine Gaben verliehen, damit er der Menschheit Freude bringen könne.
Der Narr
Während ich dieses Kapitel schreibe, staune ich darüber, wie Mercurius nicht nur eine, sondern drei oder noch mehr archetypische Gestalten aus dem Tarot verkörpert. Er ist der Narr, der ein Aspekt des Puer ist, aber er ist auch der Magier, der Hohepriester und der Kaiser. Das hat zweifellos etwas mit Alchimie zu tun, wo Mercurius der Geist im Kessel ist, der sich von einer Stufe der Vervollkommnung zur nächsthöheren transformiert, genauso wie es vom Magier heißt, er sei die »höhere Oktave« des Narren. Weil Merkur auch der Bote der Götter ist, das Bindeglied zwischen dem Unbewußten und dem rationalen Verstand und von den Musen die Weissagung lernte, scheint es passend, daß er in den Tarotkarten so herausragend vertreten ist, denn sie repräsentieren schließlich symbolhaft die verschiedenen Entwicklungsstadien der Psyche auf ihrer Suche nach Weisheit.
Der Narr ist ein faszinierender Archetyp, denn er vereint die widersprüchlichen Aspekte von Torheit, Weisheit, Unschuld und dem Trickster. Insofern ist er eine sehr merkurische Gestalt. Im Tarot wird der Narr als junger Mann dargestellt, der sorglos mit einem Sack auf dem Rücken herumwandert und gerade dabei ist, fröhlich über einen Abgrund zu steigen, mit einem bellenden Hund auf den Fersen. Das entspricht der sanguinischen, gedankenlosen Unschuld des Mercurius-Puer. Ein klassisches Beispiel ist der Narr, der in so vielen Shakespeare-Stücken auftaucht. In Zwei Herren aus Verona wird er »Speed« genannt, ein höchst passender Name für eine merkurische Gestalt. Shakespeare sagt über einen seiner Narren: »Dieser Geselle ist weise genug, den Narren zu spielen, und das erfordert eine besondere Art von Witz. Er muß die Stimmungen derjenigen beobachten, mit denen er seine Späße treibt, die Eigenschaften der Personen und die Zeit. Das erfordert soviel Mühe wie die Kunst eines weisen Mannes.« Shakespeares Narren werden von den anderen Schauspielern als Idioten behandelt, und gewöhnlich spielen sie die meiste Zeit den Narren, aber hinter ihrer vermeintlichen Dummheit verbirgt sich eine Weisheit, die sich aus ihrem distanzierten, nicht dazugehörenden Status ergibt. Es ist der Narr, der dem König die Wahrheit sagt, wenn kein anderer sie sieht, und ihm den Spiegel vorhält, wenn kein anderer es wagt. Der Narr sieht alles, aber sagt nichts, bis er gefragt wird. Erst dann zeigt er seine bemerkenswerte Beobachtungsgabe ohne Anzeichen von Stolz oder Ernst, sondern mit der Leichtigkeit eines Kobolds oder eines unpersönlichen Fremden. Es ist die Unpersönlichkeit von Mercurius, die ihn närrisch wirken läßt. Er hat in der Konversation oft nichts zu sagen, weil das Gespräch sich um persönlicheMeinungen, Vorlieben und Abneigungen dreht, für die er sich nicht interessiert.
Einer meiner Mercurius-Patienten, ein Teenager, der unter Schnupfen
Weitere Kostenlose Bücher