Psychologische Homöopathie
seinen Lebensunterhalt gearbeitet. Er hatte eine relativ leichte körperliche Behinderung und bezog deshalb eine Rente, die ihm einen bescheidenen Lebensunterhalt gewährte. Während der Konsultation betonte er jedoch häufig, wie hoch – gemessen an seinem Einkommen – sein Lebensstandard sei. Es ging ihm ganz deutlich darum, den Mangel an Prestige zu kompensieren, den er aufgrund seines geringen sozialen Status zu haben glaubte. Eine andere Arsenicurn-Patientin war früher reich gewesen, hatte dann aber schwere Zeiten erlebt. Wenn sie mich aufsuchte, trug sie immer ihre besten Kleider und sprach lieber über ihr früheres Leben voller Reichtum und mit dem entsprechenden Status, statt sich mit der Realität ihrer gegenwärtigen Situation auseinanderzusetzen. Die meisten Arsenicum-Menschen streben nach Reichtum und Prestige, entweder durch eigene Anstrengung oder durch Heirat, und viele von ihnen erreichen ihr Ziel.
Weil der kultivierte Arsenicum-Typ so unterscheidungsfähig ist, kann er ziemlich wählerisch werden und so überkultiviert sein, daß er die normalen, alltäglichen Lebensbedingungen nicht mehr erträgt. Das gilt besonders für die Arsenicum-Typen, die sowohl kultiviert als auch hypochondrisch sind. Um sich selbst zu schützen, schließen sie alle »groben« Einflüsse aus ihrem Leben aus und damit auch die meisten Menschen. Ich erinnere mich an einen solchen Mann, der von Beruf Innenarchitekt war. Er war groß und schlank und kleidete sich immer ausgesprochen würdevoll, wobei er vorzugsweiseAnzüge mit Westen und Halstücher trug. Er war in den Fünfzigern und hatte nie eine Frau gefunden, die seinen hohen Standards genügte. Er führte ein einsames Leben und suchte nach der Gesellschaft, die er früher gemieden hatte. Fast hätte er sie in Gestalt meiner Arsenicum-Tante gefunden, doch leider war er selbst für sie zu feinsinnig.
Diese Überheblichkeit, die wir bei einigen Arsenicum-Typen finden, ist das Ergebnis ihrer extremen Kultiviertheit. Wie bei einem Vollblutpferd oder einem Windhund sind Körper und Geist so fein aufeinander abgestimmt, daß sie übererregbar sind und leicht gereizt reagieren. Wenn sie nicht die genau richtigen Lebensbedingungen vorfinden, werden sie krank, entweder körperlich oder emotional. Die wahrscheinlichste emotionale Störung wäre in diesem Fall Angst.
Ein feinsinniger Arsenicum-Mann wirkt leicht verweiblicht, weil er alles andere als robust ist. Seine hauptsächlichen Interessen beziehen sich wahrscheinlich auf die Künste sowie auf Gesundheit und Ernährung, und von diesen Themen kann er ziemlich besessen sein (Kent: »Stimmung – affektiert«). Silicea, Ignatia und China können auch so kultiviert sein, daß sie überempfindsam werden. Gleichwohl hat keiner dieser drei Typen dieselbe »feinsinnige« Qualität, die wir bei Arsenicum finden und die an ein verwöhntes, überbehütetes Kind erinnert. Der Grund dafür liegt darin, daß zusätzlich zur Kultiviertheit und Hypochondrie Selbstsucht und Selbstbesessenheit zu den herausragenden Zügen von Arsenicum gehören.
Entschiedenheit, Ärger und Selbstsucht
Wie schon gesagt, ist Arsenicum nahe verwandt mit Nux und verhält sich auch ähnlich entschieden. Arsenicum pflegt in seinen Aktivitäten eindeutig zu sein. Was ihm lieb und teuer ist, daran hält er fest, und er kann sehr ärgerlich werden, wenn jemand versucht, ihn daran zu hindern (Kent: »hartnäckig«). Abgesehen von den extrem ängstlichen sind alle Arsenicum-Menschen von Natur aus unabhängig. Sie treffen ihre eigenen Entscheidungen und bleiben dabei. Silicea ist ähnlich, aber Arsenicum hat mehr Willenskraft und Selbstvertrauen als Silicea, wenn es darum geht, den eigenen Standpunkt zu vertreten und die eigenen Wünsche durchzusetzen.
Zur Eindeutigkeit von Arsenicum gehört in den meisten Fällen ein gewisser Mangel an Flexibilität. Das mag das Ergebnis fehlender Offenheit gegenüber den Meinungen anderer sein oder die Folge von Intoleranz gegenüber unterschiedlichen Standpunkten und Lebensstilen. Ich habe das einmal bei einerFrau erlebt, die ich eben erst kennengelernt hatte und die nicht akzeptieren konnte, daß ich damals Vegetarier war. Sie hielt mir einen Vortrag darüber, wie selbstsüchtig ich sei, wenn ich erwartete, daß andere auf meine Abneigungen Rücksicht nähmen, und sie war völlig empört darüber, daß ich ihr Fleisch nicht essen wollte, obwohl sie vorher gewußt hatte, daß ich Vegetarier war. Im Gespräch mit ihrem Ehemann
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