Psychologische Homöopathie
Schmerz nicht geheilt wurde.
Gram
Ignatia und Natrium muriaticum sind die beiden Arzneimittel, an die alle Homöopathen zuerst denken, wenn es darum geht, einen tiefen oder langanhaltenden Gram zu behandeln. Die Psychodynamik dieser beiden Mittel ist insofern sehr ähnlich, als beide Typen sich als Kinder ungeliebt fühlten (wenn auch vielleicht nur unbewußt) und ihr Gram mit dem alten Trauma einesLiebesverlustes zu tun hat, sei es nun durch den Tod eines geliebten Menschen oder durch Zurückweisung. Natrium ist kontrollierter und trauert oft schweigend, während Ignatia bei einem schmerzlichen Verlust meist jede Kontrolle verliert, zumindest am Anfang. Als eine Art aktiver Reaktion auf den Schock schluchzt sie zunächst hysterisch, gefolgt von Wochen emotionaler Reizbarkeit, in denen Ausbrüche von Wut und Tränen mit Perioden wechseln, in denen sie still (aber sehr schmerzlich) trauert. Wie Natrium neigt Ignatia dazu, sich zu isolieren, wenn sie verletzt ist (Kent: »Trost verschlechtert«, »Abneigung gegen Gesellschaft«). Sie ist einmal verlassen worden, und sie will das nicht ein zweites Mal riskieren, indem sie bei einem anderen Menschen Trost sucht. Zeitweise fühlt sie sich jedoch erheblich schlechter, wenn sie alleine ist, besonders in akuten Phasen des Grams.
Jeder Konstitutionstyp kann nach einem schmerzlichen Verlust oder nach der Trennung von einem geliebten Menschen in einen Ignatia-Zustand geraten. Die prinzipiellen Symptome sind unkontrolliertes Weinen, schnell wechselnde Gefühle, Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit mit einem Gefühl der Leere im Magen, die durch nichts zu füllen ist, und einem Kloßgefühl im Hals. Wenn der Gram chronisch geworden ist und sich in eine Art Hintergrundtrauer verwandelt hat, die nur noch aufflackert, wenn der Patient an den Verlust erinnert wird, hilft wahrscheinlich eher Natrium muriaticum. Mit anderen Worten: Ignatia ist nützlich im akuten Stadium des Grams, Natrium für die chronischen Auswirkungen.
Eine der charakteristischen, aber ziemlich unüblichen Manifestationen des Ignatia-Grams ist Hysterie. »Hysterie« im medizinischen Sinne bedeutet, daß körperliche Symptome als Reaktion auf einen emotionalen Schock auftreten, und in diesem Sinne ist Ignatia wahrscheinlich das beste Arzneimittel zur Behandlung von Hysterie. (Kent weist in seinen Vorlesungen darauf hin, daß hysterische Persönlichkeiten, die sich bewußt unmöglich aufführen, um Aufmerksamkeit zu erregen, durch Ignatia nicht beeinflußt werden. Sie brauchen Mittel, die einen stärkeren Bezug zu geistig unausgeglichenen Typen haben, wie Moschus oder Lilium tigrinum.)
Zu den hysterischen Reaktionen von Ignatia gehören üblicherweise Symptome, die mit dem Nervensystem zusammenhängen, wie Epilepsie, Muskelkrämpfe, Taubheit und so weiter. Einen solchen Fall habe ich kürzlich erlebt, ein junges Mädchen, das plötzlich eine fluktuierende Blindheit entwickelte, verbunden mit schnellen, unfreiwilligen Augenbewegungen. Sie wurde von Augenspezialisten untersucht, die zu der Überzeugung kamen, daß die Symptome hysterisch waren, also ohne organische Ursache und lediglich durchStreß ausgelöst. Im Verlauf der Konsultation wirkte das Mädchen sehr sensibel. Sie war reif für ihr Alter (zwölf Jahre), aber sie hatte keine Erklärung dafür, warum eine so dramatische Reaktion aufgetreten war. Ihre Eltern waren fürsorglich, und es hatte in letzter Zeit kein erkennbares emotionales Trauma gegeben, das ihre offensichtlich hysterische Blindheit gerechtfertigt hätte. Gleichwohl gab sie zu, daß sie sich in den letzten Monaten sehr angespannt gefühlt hatte, und sie bestätigte, daß ihre Blindheit proportional zum Grad der Anspannung zugenommen hatte. Beim Gespräch mit ihren Eltern wurde klar, daß ihr Vater von seiner Arbeit besessen war und nur sehr wenig Zeit zu Hause verbrachte. Und selbst wenn er zu Hause war, war er gedanklich immer noch bei seinen Geschäften, und das Mädchen hatte kaum wirklichen Kontakt mit ihm. Weiterhin litt die Mutter an einer chronischen Krankheit, die sie daran hinderte, ganz sie selbst zu sein. Und schließlich hatte sich die Patientin in ihrer Schule niemals wohl gefühlt, denn während sie sensibel und kultiviert war, hatten die anderen Kinder einen einfacheren Hintergrund, bezeichneten sie als »Snob« und schlossen keine Freundschaft mit ihr. Mit anderen Worten, obwohl es kein herausragendes traumatisches Ereignis gab, das ihre Symptome hätte erklären können,
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