Psychologische Homöopathie
Intellektuellen treffen, werden sie am stärksten in die Defensive gedrängt, weil sie damit nicht konkurrieren können. Folglich neigt der körperliche Prahlhans dazu, selbst den schwächlichsten Akademiker mit Respekt zu behandeln.
Brutale Männer sind konstitutionell meist entweder Natrium muriaticum oder Lycopodium, weil der Brutalo innerlich ein tiefes Gefühl von Unzulänglichkeit hat. Wie der Natrium-Brutalo legt auch der brutale Lycopodium großen Wert darauf, daß man ihn mag, und er wird sich selbst verleugnen, um nett zu denen zu sein, die zu ihm stehen.
Intellektuelle Prahlerei (auch als »Aufschneiderei« bezeichnet) ist der prinzipielle Abwehrmechanismus des intellektuellen Angebers. Letzterer ist nicht zwangsläufig besonders intelligent oder intellektuell, hält sich aber dafür und vermag auch einige Leute zu beeindrucken, die weniger intellektuell sind als er. Ein gutes Beispiel für diesen Typus ist Colonel Manwaring in der britischen Fernsehkomödie Dad's Army. Der Colonel macht das Beste aus seiner unbedeutenden Stellung und benutzt sie als Plattform, um das große Wort zu schwingen und dabei diejenigen herunterzumachen, deren Unwissenheit er bloßstellen kann. Wie alle intellektuellen Angeber bedient er sich einer pompösen, blumigen Sprache, die extrem umständlich ist. Viele lange Worte sind ihm lieber als wenige kurze, obwohl letztere wesentlich besser geeignet wären, seine Botschaft rüberzubringen. Das Resultat besteht darin, daß die meisten intellektuellen Angeber furchtbar langweilig sind. Sie präsentieren ihre Perlen der Weisheit (dafür halten sie sie jedenfalls) entweder mit der Intensität eines Predigers, die ihren Worten große Bedeutung verleihen soll, oder auf eine blumige Art, als ob sie sagen wollten: »Ha! Seht nur,wie schlau ich bin!« (Diese letzte Art erinnert mich an Yul Brunners Filmversion des Königs von Siam in Der König und ich.)
Der intellektuelle Prahlhans ist im allgemeinen überzeugt, daß er fast immer recht hat, und duldet keinen Widerspruch (Kent: »erträgt keinen Widerspruch«). Er lernt ein wenig von allem und hält sich dann für einen Experten in jedem Bereich. Folglich erlebt man oft, daß er sich in Gespräche einschaltet, um Aussagen zu korrigieren, die er für falsch hält. Manchmal tut er das sogar bei völlig Fremden (Kent: »neigt zum Widerspruch«). Diese Tendenz, sein Wissen zur Schau zu stellen, erinnert an Sulfur, der seine Zuhörer auch bis zum Gähnen langweilen kann und immer glaubt, daß er recht hat. Grundsätzlich könnte man sagen, daß Sulfur vor allem sein eigenes Wissen schätzt, während es ihm nur sekundär darauf ankommt, sein Wissen mit anderen zu teilen. Deshalb ist Sulfur gewöhnlich gut über seine Lieblingsthemen informiert und läßt sich seltener dazu herab, seine Kenntnisse mitzuteilen, als der intellektuelle Lycopodium-Angeber, dessen Hauptinteresse nicht dem Inhalt seiner Aussagen gilt, sondern der Bewunderung, die er damit ernten kann.
Dem intellektuellen Prahlhans geht es zum Teil auch darum, mit großem Aufwand sein Versagen zu rechtfertigen oder die Aufmerksamkeit davon abzulenken. So habe ich beispielsweise einen jungen Mann kennengelernt, der viele Jahre nicht gearbeitet hatte und seine Rechnungen von Vater Staat bezahlen ließ. Er sagte, er habe ein Attest von einem befreundeten Arzt (der intellektuelle Prahlhans ist immer mit seinem Arzt persönlich befreundet), daß er aufgrund von »nervöser Spannung« nicht arbeiten könne. Nun war er zwar tatsächlich ein wenig nervös, aber er schien durchaus fähig zu arbeiten und gab das auch zu. Er rechtfertigte seine Arbeitsscheu jedoch mit dem Hinweis, die therapeutische Tätigkeit, mit der er beschäftigt sei, erfordere seine ganze Zeit. Er hatte an vielen Kursen über alternative Medizin teilgenornmen, und seine Wände waren mit den entsprechenden Zertifikaten gespickt. Sie lauteten auf den Namen »Jonathan Erdgeist«, den er angenommen und eintragen lassen hatte. In seiner Wohnung veranstaltete er örtliche Meditationstreffen. An einer solchen Veranstaltung habe ich teilgenommen. Wir waren nur eine Gruppe von vier Leuten, doch unbeeindruckt davon erklärte er in einer Pseudotrance, er sei berufen, ein Zentrum der Heilung für seine Gemeinde zu bilden. Später suchte er mich auf, um seine nervösen Verdauungsstörungen behandeln zu lassen. Ich gab ihm Lycopodium 10M, und er verfiel danach in eine kurze, aber tiefe Depression. Anschließend beendete er seine
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