Psychologische Homöopathie
seiner Studien betonen, und erklärte, er wolle ein Buch über das Thema schreiben. Als ich jedoch mehr von ihm über die Chaostheorie wissen wollte, wurden seine Auskünfte immer verschwommener, und er erklärte etwas zögernd, er interessiere sich dafür, wie »Ordnung aus dem Chaos entsteht, besonders im menschlichen Organismus«. Beruflich arbeitete er am Computer und abgesehen von dem Buch, das er gerade las, hatte er sich noch nie mit der Chaostheorie beschäftigt. Mir war bald klar, daß er sich für das Thema nur deshalb begeisterte, weil es eindrucksvoll klang und er dadurch hoffte, interessanter zu wirken. Er war ein einsamer Mann ohne enge Freunde, und er hatte Schwierigkeiten, Frauen kennenzulernen, weil er sich vor Zurückweisung fürchtete. Sehr zögernd und erst nachdem ich ihm viele Fragen gestellt hatte, gab er diese Probleme zu. Wie bei anderen pseudointellektuellen Lycopodium-Typen bestand sein hauptsächliches Lebensziel darin, interessant genug zu wirken, um Freunde und eine Partnerin zu finden und Respekt von anderen Menschen zu erlangen, und nur zu diesem Zweck sammelte er Fakten und versuchte, andere Menschen dafür zu interessieren.
Ich gab ihm Lycopodium 10M, und als ich ihn das nächste Mal sah, war ich sehr beeindruckt von den Wirkungen des Mittels. Zunächst hatte er sich ein oder zwei Tage lang ruhig und gedämpft gefühlt. Danach war ihm aufgefallen, daß seine Verdauungsstörungen verschwunden waren und seine Füße nicht mehr taub wurden, wenn er sich mit überkreuzten Beinen zur Meditation hinsetzte. Er schien mir entspannter zu sein und versuchte nicht mehr, mit seinen Studien Eindruck zu machen. Als ich ihn fragte, wie er mit seiner Untersuchung über die Chaostheorie weiterkomme, sagte er, er habe in letzter Zeit nicht viel darüber nachgedacht.
Der echte Lycopodium-Intellektuelle ist nicht so verbreitet wie der Pseudointellektuelle. Er ist wirklich fasziniert von den Themen, die er studiert, und will nicht primär andere Menschen beeindrucken. Er ist im allgemeinen ein Experte in einem bestimmten Bereich, ganz gleich ob das nun Quantenphysik, Linguistik oder Philosophie ist. Für den Lycopodium-Intellektuellen ist seine wissenschaftliche Arbeit häufig der Lebensmittelpunkt. Sie nimmt ihn während der meisten Zeit des Tages vollständig in Anspruch und gibt ihm ein Gefühl der Befriedigung und einen Lebenszweck. Er ist wahrscheinlich der trockenste Lycopodium, weil er sich so ausschließlich auf intellektuelle Fragen konzentiert. Da er sich die meiste Zeit seines Lebens in Büchern vergraben hat, ist er wahrscheinlich schüchtern, und obwohl er als Dozent kompetent sein mag, hat er nicht die Ausstrahlung eines Sulfur-Intellektuellen und auch nicht die Überzeugungskraft und Ausdrucksstärke eines Nux-Intellektuellen. Seinen Zuhörern gegenüber ist er jedoch geduldig und gewissenhaft, und er setzt sich mit seinem Thema gründlich auseinander. Der Lycopodium-Intellektuelle ist der Experte im weißen Kittel mit der hohen Stirn, der sein Leben im Labor verbringt, wo er eine hochspezifische wissenschaftliche Frage untersucht, die er immer wieder zerlegt und analysiert. Er ist weniger inspiriert als das Sulfur-Genie, aber er arbeitet voller Hingabe und empfindet dabei echte Befriedigung. Er ist eher ein Theoretiker als ein praktischer Wissenschaftler, seine Vorstellungen hat er wahrscheinlich im Rahmen einer üblichen Ausbildung entwickelt, anders als Sulfur-Intellektuelle, die ausgesprochen originell sind und mit Theorien aufwarten können, die sie aufgrund von scheinbar völlig unzusammenhängenden Beobachtungen entwickelt haben und mit Informationen aus einer Vielzahl von Disziplinen untermauern.
Wissenschaftliche Lehrer und Professoren sind sehr oft Lycopodium-Intellektuelle. Ich erinnere mich an meinen eigenen Physiklehrer, und wenn ich an seinen Unterricht zurückdenke, bin ich sicher, daß er Lycopodium war. Er war gründlich, aber entspannt (anders als Kalium oder Arsenicum, die höchstwahrscheinlich gründlich und bevormundend sein würden), und er war ein sehr bescheidener Mensch, der nie versuchte, Macht über seine Schüler auszuüben. Er war ein stiller Mann, der sein Wissen gerne mitteilte und manchmal vor Begeisterung strahlte, wenn er vom Lehrplan abschweifte und uns aufregende Dinge über schwarze Löcher und Relativität erzählte, aber meist war er sehr ruhig. Er war ein bißchen schüchtern und jedesmal sichtlich verlegen, wenn wir ihn freundlich auf den Arm
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