Psychose: Thriller (German Edition)
Dinge, die außerhalb von Wayward Pines passieren«, sagte sie. »Das ist eine der Regeln.«
»Was für Regeln?«
»Sie nennen es ›im Heute leben‹. Es ist nicht erlaubt, über Politik zu reden. Auch nicht über das Leben, das man früher geführt hat. Keine Diskussionen über Popkultur, Filme, Bücher, Musik. Über nichts, was es nicht auch hier in der Stadt gibt. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber hier findet man so gut wie keine Markennamen. Selbst das Geld ist anders. Das ist mir erst vor Kurzem aufgefallen, aber die Münzen und Scheine stammen aus den 50er- und 60er-Jahren. Neuere gibt es nicht. Und es gibt keine Kalender und keine Zeitungen. Ich weiß nur, dass ich so lange hier bin, weil ich Tagebuch führe.«
»Warum ist das alles so?«
»Ich weiß es nicht, aber die Strafen für das Übertreten der Regeln sind heftig.«
Ethans Bein schmerzte, weil es vom Klebeband eingequetscht wurde, aber zumindest hatten sie die Blutung gestillt. Vorerst konnte es noch so bleiben, aber bald musste er das Klebeband abnehmen.
»Wenn ich herausfinde, dass Sie zu denen gehören …«, sagte Beverly.
»Ich gehöre nicht zu denen, wer immer
die
auch sein mögen.«
Ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie weg und wischte sich dann die Wangen ab.
Ethan lehnte sich an die Wand.
Das Zittern und die Schmerzen wurden schlimmer.
Er konnte noch immer den Regen auf dem Dach hören und vor dem fleckigen Fenster war es noch immer dunkel. Beverly hob die Decke vom Boden und schlang sie um Ethans Schultern.
»Sie verbrennen ja«, sagte sie.
»Ich habe Sie gefragt, was das für ein Ort ist, aber Sie haben mir keine richtige Antwort gegeben.«
»Weil ich es nicht weiß.«
»Sie wissen mehr als ich.«
»Je mehr man weiß, desto seltsamer ist alles. Und desto weniger weiß man eigentlich.«
»Sie sind seit einem Jahr hier. Wie haben Sie so lange überlebt?«
Sie lachte – traurig und resigniert. »Indem ich das mache, was alle machen … mit der Lüge leben.«
»Welcher Lüge?«
»Dass alles in Ordnung ist. Dass wir alle in einer perfekten Kleinstadt leben.«
»Wo das Paradies zu Hause ist.«
»Was?«
»Wo das Paradies zu Hause ist. Das stand auf einem Schild am Stadtrand, als ich letzte Nacht versucht habe, von hier wegzukommen.«
»Als ich hier zum ersten Mal aufgewacht bin, war ich so desorientiert und hatte solche Schmerzen nach dem Autounfall, dass ich ihnen geglaubt habe, als sie sagten, ich würde hier leben. Ich war den ganzen Tag im Nebel herumgeirrt, bis mich Sheriff Pope gefunden hat. Er brachte mich in den Biergarten, die Kneipe, wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Er sagte, ich würde da als Barkeeperin arbeiten, obwohl ich noch nie im Leben hinter einer Bar gestanden hatte. Dann brachte er mich zu einem kleinen viktorianischen Haus, das ich noch nie zuvor gesehen hatte, und behauptete, ich würde dort wohnen.«
»Und Sie haben ihm einfach geglaubt?«
»Ich hatte überhaupt keine Erinnerungen, Ethan. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich gerade mal meinen Namen.«
»Aber die Erinnerungen kamen zurück.«
»Ja. Und ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Ich konnte keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen. Und Pope hatte etwas sehr, ich weiß auch nicht, etwas … Unheimliches an sich. Instinktiv wusste ich, dass ich ihm keine Fragen stellen durfte.
Ich hatte keinen Wagen, also begann ich, lange Spaziergänge am Stadtrand zu machen. Doch dann geschahen merkwürdige Dinge. Können Sie sich denken, wer immer dann auftauchte, wenn ich mich der Stelle näherte, an der die Straße den Bogen zurück in die Stadt macht? Irgendwann ging mir auf, dass Pope nicht wirklich der Sheriff ist. Er ist der Aufseher über jeden, der hier lebt. Mir wurde klar, dass sie mich irgendwie überwachten,also blieb ich zwei Monate lang unauffällig, ging zur Arbeit, danach nach Hause, schloss einige Freundschaften …«
»Und die anderen haben all das ebenfalls einfach akzeptiert?«
»Das weiß ich nicht. Sie haben sich nichts anmerken lassen. Nach einer Weile wurde mir klar, dass sie alle aus Angst nichts sagten, aber wovor sie sich fürchteten, das habe ich nie rausbekommen. Und ich habe auch nie danach gefragt.«
Ethan dachte zurück an das Nachbarschaftsfest, das er gesehen hatte – war das wirklich erst gestern Abend gewesen? – und wie normal alles gewirkt hatte. Wie durch und durch alltäglich. Er dachte an all die einfachen viktorianischen Häuser in Wayward Pines und all die
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